Entwicklung als Schlüssel

Von Redaktion · · 2017/04

China bezeichnet sich nach wie vor als Entwicklungsland. Was das bedeutet, erklärt Irene Giner-Reichl.

Entwicklung ist für China, mit seinen fast 1,4 Milliarden Menschen das bevölkerungsreichste Land der Welt, zu allererst die des eigenen Landes. „Entwicklung ist die oberste Priorität der Kommunistischen Partei Chinas“, und „der Schlüssel zur Lösung aller Probleme“, heißt es in einer Information des chinesischen Staatsrates zum „Recht auf Entwicklung” vom Dezember 2016.

Die Art und Weise, wie die Entwicklung des eigenen Landes vorangetrieben wird, sehen europäische Firmen, die in den vergangenen Jahren zunehmende Marktzugangserschwerungen beklagen, durchaus kritisch. In einem offenen Brief im Vorfeld des Auftritts von Chinas Präsident Xi Jinping beim Weltwirtschaftsforum in Davos sprach der deutsche Botschafter in Peking etwa dieses Anliegen an. In Berichten der europäischen Handelskammer in China werden seit einigen Jahren ähnliche Bedenken geäußert.

Dass China in Bezug auf Menschenrechte Entwicklung im Sinne der Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte als den Schlüssel zu denselben betont, versöhnt westliche MenschenrechtsbefürworterInnen nicht. Besonders kritisch sehen diese die zunehmenden Beschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Weniger Armut. Seit den 1980er Jahren hat China anerkanntermaßen rund 700 Millionen Menschen aus extremer Armut befreit. Die Lebenserwartung erhöhte sich von 35 (1949) auf 76 Jahre (2015). China hat das weltweit größte ­Sozialversicherungssystem. Während 1949 noch rund 80 Prozent der Bevölkerung AnalphabetInnen waren, hatten 2015 praktisch alle Kinder in China Volksschulbildung. 93 Prozent vollendeten die verpflichtende neunjährige Schulzeit, 87 Prozent besuchten eine höhere Schule.

Die Vereinten Nationen bescheinigen China Rang 90 (von 188 Ländern) im Human Development Index. Mit weniger als 10 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen der Erde ernährt China mehr als 20 Prozent der Weltbevölkerung.

Aufbauend auf diesen Erfolgen will die chinesische Regierung bis zum Jahr 2020 „bescheidenen Wohlstand für ­Alle“ verwirklichen; und bis zur Mitte des Jahrhunderts soll China den Status eines voll entwickelten Landes erreicht haben. Der 13. Fünfjahresplan (2016-2020) soll China ökologisch und innovativ machen.

Neuer Geber. In internationalen Diskussionen wird China oft als „neuer Geber“ gehandelt. In Wirklichkeit hat China langjährige Erfahrung mit Entwicklungszusammenarbeit. Seit den 1950er Jahren vergab China Wirtschaftshilfe zuerst an befreundete sozialistische Länder und später auch an andere. China sieht sich selbst nicht als „Geber“, sondern eben als Entwicklungsland, das Süd-Süd-Kooperationen mit anderen Entwicklungsländern zum wechselseitigen Vorteil praktiziert.

Angesichts dieser Selbsteinschätzung ist es nicht verwunderlich, dass der Dialog des Ausschusses für Entwicklungshilfe (DAC) der OECD mit China nicht viel über Allgemeinplätze hinauskommt. Die chinesische Regierung hat sich aber in den vergangenen Jahren bemüht, zumindest die Information über die chinesische Süd-Süd-Kooperation für die interessierte Öffentlichkeit zugänglicher zu machen als dies in der Vergangenheit der Fall war.

In seiner Rede im Rahmen des Weltwirtschaftsforum in Davos im Jänner verwies Xi Jinping mit Stolz auf die einschlägigen chinesischen Leistungen: Seit 1950 habe China mehr als 400 Milliarden Renminbi (etwa 55 Mrd. Euro) an Auslandshilfe geleistet, die in 5.000 Projekte geflossen seien. In 11.000 Workshops in China hätten über 260.000 Teilnehmer aus anderen Entwicklungsländern Ausbildungen erhalten. An Direktinvestitionen habe China 1,7 Billionen US-Dollar ins Land geholt und 1,2 Billionen im Ausland getätigt.

Afrika war und ist der größte Empfänger von chinesischer Entwicklungszusammenarbeit, wobei die Beziehungen seit 2003 durch das „Forum on China-Africa Cooperation“ (das in verschiedenen Formaten bis hin zum Gipfel-Format arbeitet) politisch aufgewertet wurden.

Im Zuge eines ambitionierten, von China betriebenen Eisenbahnbaus in Ostafrika nahmen im Jänner 2017 die ersten Züge ihre Fahrt zwischen Addis Abeba und Dschibuti auf. Statt drei Tage lang ist man nun zwischen der äthiopischen Hauptstadt und dem kleinen Staat am Indischen Ozean nur zwölf Stunden unterwegs.

Projekt Seidenstraße. Das vielleicht größte und schwierigste Entwicklungs- und Friedens-Projekt Chinas ist „One Belt, One Road“, also die Revitalisierung der Seidenstraßen, die durch Handel und Investitionen Asien enger mit Europa verbinden sollen (vgl. Südwind-Magazin 10/15). Seit der ersten Ankündigung im Herbst 2013 haben sich rund 100 Länder in diese Initiative eingeklinkt. Entlang der Seidenstraßen liegen einige der ärmsten Länder Asiens, wie Bangladesch oder Afghanistan, und Konfliktherde, die sich seit Jahrzehnten der Befriedung entzogen haben. Für Mitte Mai hat China zu einem großen Seiden-Straßen-Gipfel in Peking eingeladen.

Seit seiner Amtsübernahme 2013 macht Präsident Xi Jinping das Gewicht und den Führungsanspruch Chinas im globalen Umfeld zunehmend sichtbar, wie etwa mit dem Vorsitz bei der asiatischen Regionalkonferenz CICA von 2014-2016, der Ausrichtung des Gipfels der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft APEC im Jahr 2014, der G-20 Präsidentschaft 2016 sowie Auftritten vor den Vereinten Nationen.

Als G-20-Vorsitz mobilisierte China starke Unterstützung für die UN-Entwicklungsagenda bis 2030 und die Anliegen der Entwicklungsländer. Das chinesische Positionspapier zur Agenda 2030 legt die Schwerpunkte auf Bekämpfung von Armut und Hunger, Wirtschaftswachstum, Industrialisierung, Verbesserung der Sozialnetze und -dienste, soziale Gerechtigkeit und faire Verteilung der Entwicklungsgewinne sowie Umweltschutz, Klimawandel, Ressourceneffizienz und gute Regierungsführung.

Klimaschutz am Plan. Die Stabilisierung des Klimas liegt derzeit in großem Maße in Chinas Händen. Die schlechte Luftqualität in vielen chinesischen Städten ist mittlerweile zum vorrangigen Anliegen der Mittelklasse geworden. Der 13. Fünfjahresplan ist auch ein Energiewende-Plan. In einem Kommentar in der Tageszeitung „China Daily“ bescheinigte UNEP-Exekutivdirektor Erik Solheim im Februar, dass China sich vorbildlich gegen den Klimawandel und für andere globale Umweltanliegen engagiere.

China hat auch eine klare politische Vision, wie es auf der Welt weitergehen sollte. In Davos bezeichnete Xi Jinping die zunehmende Ungleichheit zwischen Reichen und Armen als die Wurzel der derzeitigen globalen Verwerfungen und die größte Herausforderung für die Welt. Als Antwort darauf schlägt er ein Entwicklungsmodell vor, das auf Innovation und globaler Konnektivität basiert und durch ein faires und dem heutigen Kräfteverhältnis angemessenes System der weltwirtschaftlichen Governance gestützt ist.

Ein Programm, an dessen Verwirklichung eigentlich auch in Europa gearbeitet wird.

Irene Giner-Reichl ist Expertin für nachhaltige Entwicklung und derzeit Österreichs Botschafterin in China.

Zur wirtschaftlichen Entwicklung Chinas siehe auch Artikel "Interessante Zeiten" auf Seite 34.

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