„Es war schwer für mich, zu gehen“

Von Eva Reithofer-Haidacher · · 2008/07

Nach Jahrzehnten der Schikanen hat die tunesische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine in Graz Zuflucht gefunden. Ihren Kampf führt sie weiter.

Das Gesicht der zierlichen Frau mit dem großen Tablett ist fast zur Gänze von Wasserkrug und Saftpackungen verdeckt. „Hier ist es ja fast so heiß wie in Tunis“, sagt sie seufzend, als sie die Getränke auf den Tisch ihres kleinen Vorgartens am Grazer Schlossberg stellt. Die tunesische Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine lebt seit Jänner dieses Jahres auf Einladung des Internationalen Hauses der Autorinnen und Autoren Graz als „Writer in exile“ im Cerrini-Schlössl. Ein Zufluchtsort, um endlich ruhig arbeiten zu können und der 19-jährigen Tochter Essia ein friedliches Studienjahr zu ermöglichen.
Doch Ruhe geben will die 57-jährige Journalistin nicht. „Aufhören hieße, ihnen Recht geben“, sagt die Chefredakteurin der Internetzeitschrift „Kalima“ über die Machthaber in ihrer Heimat, denen sie seit drei Jahrzehnten die Stirn bietet. Mit Beharrlichkeit hat sie trotz anhaltender Schikanen immer wieder Mittel und Wege gefunden, das System zu entlarven und öffentlich anzuprangern. Als sie 1999 gemeinsam mit ihrem Mann Omar Mestiri, der ebenfalls im Widerstand tätig ist, das regierungskritische Zeitungsprojekt „Kalima“ startet, wird ihr die Druckgenehmigung verweigert. Sie weicht aufs Internet aus, doch prompt wird die Seite gesperrt. Schließlich stellt ein ausländischer Server die Zeitschrift ins Netz, wo sie zehntausende BesucherInnen im Monat erreicht.

Sihem Bensedrine ist eine sanftmütige Frau. Sie wird nicht aggressiv, wenn sie von den Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land spricht, die sie auch selbst erleiden musste. Von Berufsverboten, von Schlägertrupps, die sie krankenhausreif prügelten, von Folter und Gefängnis, von dem Jahr, in dem ihr Telefon gesperrt war, von den sechs Jahren, in denen ihr der Reisepass entzogen worden war und den zehn Jahren, in denen ihr Haus Tag und Nacht von Polizisten umstellt war. Emotional wird sie aber, als sie vom Leid ihrer Kinder erzählt: „Die Polizei hat die Freunde der Kinder ausfindig gemacht und sie unter Druck gesetzt, nicht mehr mit ihnen zu spielen. Sie waren damals drei, elf und 14 Jahre alt – wissen Sie, was das für Kinder in diesem Alter bedeutet?“ In Tunesien herrsche zwar kein blutiges Militärregime, doch der Überwachungsstaat unter Präsident Ben Ali habe ein subtiles System zur Erniedrigung und Zermürbung von GegnerInnen errichtet (siehe SWM 10/2007, S. 18-19).
In den 1990er Jahren macht Sihem Bensedrine die härteste Zeit ihres Lebens durch: „Wir hatten keine Arbeit, nichts zu essen, keine Sozialkontakte mehr.“ Als sie endlich ihren Reisepass zurückbekommt, reist sie 2001 als Sprecherin der Nichtregierungsorganisation „Nationaler Rat für Freiheiten“ nach London und gibt einem privaten arabischen Fernsehsender ein Interview über Folter und Korruption in Tunesien. Kaum steigt sie bei der Rückkehr aus dem Flugzeug, wird sie festgenommen und inhaftiert. Mit 25 Frauen in einer unerträglich heißen Zelle wird ihr verboten zu duschen, sie darf nicht lesen und schreiben, erniedrigende Leibesvisitationen stehen auf der Tagesordnung. Internationale Proteste erreichen, dass sie knapp zwei Monate später freigelassen wird – und bald darauf ein Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte annimmt. „Es war schwer für mich, zu gehen. Ich hatte viele Bedenken: Werde ich meine Kontakte aufrechterhalten können? Werde ich den Kampf weiterführen können? Aber ich hatte endlich eine Existenzsicherung“, erzählt Sihem Bensedrine.

Die Sorgen waren unbegründet, ihr Engagement für ein freies und demokratisches Tunesien geht unvermindert weiter. Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann einen Film über Folter in Tunesien gedreht und zwei Bücher geschrieben, an zwei weiteren arbeitet sie. Eines davon handelt von tunesischen Jugendlichen, die vom islamischen Fundamentalismus fasziniert sind. „Wenn man wünscht, dass junge Leute integriert werden, darf man sie nicht als Feinde betrachten. Man darf keine Angst haben, mit ihnen zu sprechen“, ist die Asylautorin überzeugt. Religiösen Eiferern sei nicht mit Abschottung und Ausgrenzung beizukommen. Das aber versuche die EU zunehmend, aktuell mit dem Vertrag über die Mittelmeer-Union, der am 13. Juli ratifiziert wird. Auch innerhalb der EU nähmen Intoleranz und die Ausgrenzung Andersgläubiger zu. „Wenn Moslems im Keller ihre Religion praktizieren müssen, nährt das den Extremismus“, ist Bensedrine überzeugt. Bei ihren Stadtspaziergängen durch Graz habe sie übrigens noch keine einzige Moschee entdeckt.

www.kalimatunisie.com

Eva Reithofer-Haidacher ist Redakteurin der steirischen Straßenzeitung Megaphon.

Bücher von Sihem Bensedrine:
Besiegte Befreite. Eine arabische Frau erlebt den besetzten Irak (2004)
Despoten vor Europas Haustür. Warum der Sicherheitswahn den Extremismus schürt (2005).
Beide Antje Kunstmann Verlag

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