Für den Planeten vor Gericht

Von Johannes Greß · · 2021/Mai-Jun
Greenpeace Österreich startete 2019 eine öffentliche Sammelklage gegen klimaschädliche Gesetze, u.a. mit Unterstützung von Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. © Astrid Schwab / Greenpeace


Von den Niederlanden über Österreich bis nach Pakistan und Kolumbien – immer öfter klagen Initiativen erfolgreich in Sachen Klima.

Schon über Preisunterschiede zwischen Zug und Flug nachgedacht? Transnationale Flüge sind im Vergleich zu grenzübergreifenden Bahnfahrten umsatzsteuerbefreit.

Und: Für Flüge innerhalb Österreichs entfällt die Kerosinsteuer, die Bahn zahlt Energieabgaben und Eigenstromsteuern.

Dadurch hätten Airlines gegenüber der Bahn einen unlauteren Wettbewerbsvorteil, obwohl Erstere 31 mal mehr Umweltschäden verursachen als Letztere, argumentiert die Umweltschutzorganisation Greenpeace Österreich – und zog im Sommer 2019 vor den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Der ersten sogenannten „Klimaklage“ Österreichs schlossen sich mehr als 8.000 Österreicher*innen an.

Immer mehr Initiativen rund um den Globus klagen ihre Regierungen, teils mit überraschenden Erfolgen.

Doch was können derlei Klagen bewirken? Und was bedeutet das für die Gewaltenteilung, wenn Gerichte zu Klimaschützer*innen werden, und die Judikative die Versäumnisse von Legislative und Exekutive glattbügeln soll?

„Wir pochen seit 30 Jahren auf Klimaschutz und wir wissen alle, dass uns die Zeit davonläuft“, erklärt Jasmin Duregger, Klima-Expertin bei Greenpeace Österreich, den Gang vor den VfGH. Sie spricht von einem „letzten Eskalationsschritt“, den man gehen musste, um das „Recht auf Zukunft“ von der Regierung einzufordern.

Der VfGH lehnte die Greenpeace-Klimaklage allerdings im Oktober 2020 ab, weil die persönliche Betroffenheit der Klagenden nicht ausreichend gegeben sei.

Gute Erfolgsaussichten hat Dureggers Meinung nach Mex M. Der an Multipler Sklerose Erkrankte gab Anfang März bekannt, mit Unterstützung der renommierten Rechtsanwältin Michaela Krömer und Fridays For Future vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu ziehen.

Denn je höher die Temperatur, desto stärker hat M. unter seiner Krankheit zu leiden, ab 25 Grad Celsius ist er auf einen Rollstuhl angewiesen.

M. will ein Recht auf Klimaschutz erwirken, abgeleitet vom Recht auf Leben und Gesundheit. Ob der Antrag zugelassen wurde, stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest.

Etappensiege. In Europa ließ 2015 der gerichtliche Erfolg der Urgenda Foundation gegen die niederländische Regierung erstmals aufhorchen. Die Niederlande wurde zu einer Reduktion von Treibhausgasen verpflichtet.

In letzter Zeit hatten vergleichbare Klimaklagen in mehreren europäischen Staaten Erfolg.

Und nicht nur in unseren Breitengraden: In Kolumbien verklagten 25 Jugendliche 2018 erfolgreich Teile der Regierung, weil diese nicht genug gegen die Abholzung kolumbianischer Wälder unternehmen. Die Umweltschutzorganisation Earth-life Africa konnte 2017 den Bau eines Kohlekraftwerks in Südafrika verhindern.

Der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya verklagte den deutschen Energiekonzern RWE (das Südwind-Magazin berichtete in der Ausgabe 1-2/2019), im Mittelpunkt steht der Vorwurf der Mitverantwortung an der globalen Erwärmung. In einer historischen Entscheidung nahm ein deutsches Oberlandesgericht 2019 die Klage an. Die aufwendige Beweisaufnahme wird – verzögert durch die Corona-Pandemie – fortgesetzt.

Für Aufsehen sorgte auch der Fall Asghar Leghari. Der Bauer aus Pakistan klagte 2015 seine Regierung wegen deren umweltpolitischer Untätigkeit. Das Gericht gab Leghari Recht und wies die Regierung an, innerhalb weniger Monate einen Klimaschutz-Aktionsplan zu erarbeiten, dessen Einhaltung von einer Kommission überwacht wird.

Internationale Beachtung fand der Fall, weil Pakistan nicht als Verursacher, sondern als Opfer der Klimakrise gilt.

Chance, Druck aufzubauen. Dass der Fall des Österreichers Mex M. vor dem EGMR Erfolg hat, wäre laut Umweltrechtsexpertin Judith Fitz „eine Überraschung, aber nicht auszuschließen“. Die Europäische Menschenrechtskonvention, erklärt Fitz, werde vom EGMR als ein „living instrument“ behandelt. Das heißt, die Behörde in Straßburg orientiert sich bei ihren Entscheidungen auch an gesellschaftspolitischen Entwicklungen.

Die Sorge mancher, dass durch klimapolitische Entscheidungen von Gerichten die Gewaltenteilung in Bedrängnis gerät, will Fitz indes nicht gelten lassen. Einerseits habe der Gesetzgeber den Reduktionszielen im Pariser Klimaabkommen selbst zugestimmt, andererseits würde ein Gericht einer Regierung nicht vorschreiben, wie sie Klimaschutz konkret umzusetzen hat.

Klimaklagen seien vor allem ein Instrument, um Druck aufzubauen. Ein Sieg von Mex M. etwa hätte enorme symbolische Wirkung.

Johannes Greß, geb. 1994, arbeitet als freier Journalist in Wien, studiert Politikwissenschaft im Master und arbeitet überwiegend zu den Themen Ökologie, Demokratie, Verkehr und Konsum.

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