Für sich selbst sprechen

Von Redaktion · · 2010/04

Erstmals hat sich die afrikanische Diaspora in Österreich zu einer Plattform mit klaren politischen Zielen zusammengeschlossen.

Der 6. Juni 2009 war ein historischer Tag für die AfrikanerInnen in Österreich. Rund 50 Mitglieder afrikanischer Selbstorganisationen kamen an diesem Tag in Graz zusammen, um über die Zukunft der afrikanischen Gemeinschaften in diesem Land zu debattieren. Mit der Gründung einer bundesweit agierenden afrikanischen Plattform (Afrika Vernetzungsplattform, AVP) wurden die ersten Schritte in eine gemeinsame Zukunft gesetzt.

"AfrikanerInnen in Österreich sind keine homogene Einheit", betont Bella Bello Bitugu, Lehrbeauftragter an der Universität Innsbruck. In der Öffentlichkeit ist oftmals von einer "African Community" die Rede, doch sei diese Vorstellung, so Bitugu, ein Konstrukt der Mehrheitsgesellschaft. AfrikanerInnen werden aufgrund ihrer Hautfarbe nur all zu gerne "in einen Topf geworfen". Die Realität zeigt jedoch ein anderes Bild. In Österreich gibt es zahlreiche afrikanische "Communities", die aus vielfältigen Gründen entstanden sind. Oft führen die gemeinsame Nationalität, Kultur oder gemeinsame Ziele, wie etwa die Schaffung von sozialen Dienstleistungen für MigrantInnen, dazu, sich in der Aufnahmegesellschaft zu organisieren. Afrikanische "Communities" sind deshalb "so vielfältig wie der Kontinent selbst".

In Österreich leben an die 40.000 Menschen afrikanischer Herkunft, die Mehrheit davon in Wien (22.000). Sie kommen aus vielen Ländern, leben hier in unterschiedlichen sozio-kulturellen und ökonomischen Zusammenhängen und haben daher auch unterschiedliche Lebensperspektiven. So ist wenig bekannt, dass 75% der in Wien lebenden Menschen afrikanischer Herkunft eine Matura haben und 33% einen Universitätsabschluss, wie der Afrikawissenschaftler Erwin Ebermann 2006 erforschte. Im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft verfügen AfrikanerInnen über ein überdurchschnittliches Bildungsniveau. Dennoch müssten sich die meisten ihren Platz in der Gesellschaft hart erkämpfen, gibt Ike Okafor, Gründungsmitglied des Dachverbandes von AfrikanerInnen in Oberösterreich (Black Community OÖ) zu bedenken. Berufliche Qualifikationen, welche im Heimatland erworben wurden, würden in Österreich sehr häufig nicht anerkannt. Daneben hätten viele gar nicht die Kraft, sich in einer "Community" zu engagieren oder über den Begriff nachzudenken, weil sie mit der Sicherung ihrer alltäglichen Existenz ausgelastet seien.

Ungeachtet der Vielfalt an Kulturen, Herkunftsländer und Lebenslagen gibt es ein Solidaritätsgefühl unter Menschen afrikanischer Herkunft. "Das Verbindende wird im Aufnahmeland vor das Trennende gestellt", begründet Esther Maria Kürmayr von der Community schwarzer Frauen in Wien das Zusammengehörigkeitsgefühl unter AfrikanerInnen. In erster Linie ist es das "kulturelle Erbe, das man gemeinsam im Aufnahmeland vertritt; die Verbundenheit mit Afrika, welche das Gefühl hervorruft, etwas Gemeinsames zu teilen", erklärt Kamdem Mou Poh à Hom, stellvertretender Obmann der AVP. In zweiter Linie verbinde auch die stereotype Wahrnehmung von AfrikanerInnen in der Aufnahmegesellschaft, so Kamdem Mou Poh à Hom weiter, die häufig an der Hautfarbe festgemacht würde. Diskriminierungen gehören noch immer zu den alltäglichen Erfahrungen von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Sei es bei der Wohnungs- oder Jobsuche oder in Form von rassistischen Anfeindungen auf der Straße.

Das Erleben rassistischer Ressentiments und die Hürden, welche wahrgenommen werden, wenn es um den Zugang zu wichtigen gesellschaftlichen Bereichen geht, rufen "ein Gefühl der Ohnmacht" hervor, das die Menschen stärker zusammenrücken lässt. "Oft werden wir nicht als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft gesehen, das hängt damit zusammen, dass wir als Gäste wahrgenommen werden, die schließlich wieder in ihre Heimat zurückkehren werden", analysiert Kamdem Mou Poh à Hom. Die Realität ist allerdings eine andere: Viele Menschen der ersten Einwanderungsgeneration sind aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nach Österreich geflohen, mit der Absicht, hier zu studieren und Geld zu verdienen. Mittlerweile ist Österreich zu ihrer Heimat geworden. Viele haben in Österreich geheiratet und eine Familie gegründet. "Wir fühlen uns als AfrikanerInnen und EuropäerInnen", beschreibt Kamdem Mou Poh à Hom das Identitätsgefühl von Menschen afrikanischer Herkunft in Österreich.

Ganz besonders deutlich tritt die Identitätsfrage bei Menschen der zweiten Generation hervor, die in Österreich geboren wurden und oftmals einen afrikanischen und einen österreichischen Elternteil haben. "Das Verhältnis der zweiten Generation zu ihrer Identität ist zwiegespalten, denn sie fühlen sich als ÖsterreicherInnen, werden aber aufgrund ihrer Hautfarbe nicht als solche akzeptiert. Diese Erfahrung löst großes Unverständnis unter den jungen Menschen aus und führt dazu, dass diese beginnen, sich mit ihrer afrikanischen Herkunft auseinander zu setzen", erklärt Topoke, Musiker aus Wien und Angehöriger der zweiten Generation von AfrikanerInnen in Österreich.

"Ich sehe die Auseinandersetzung mit meinen afrikanischen Wurzeln als Bereicherung und als Stärkung. Sie gibt mir die Möglichkeit, meinen eigenen Horizont zu erweitern und als Vermittler zwischen den Kulturen zu agieren. Ich denke, viele junge Menschen beginnen die Suche nach ihren Wurzeln erst dann, wenn sie Diskriminierungserfahrungen machen." Oftmals erleben junge Menschen mit zumindest einem afrikanischen Elternteil Teile ihrer Identität als fremd und hinterfragen daher ihre Herkunft. In gewisser Weise, so Kamdem Mou Poh à Hom, "sitzen Menschen der zweiten Generation zwischen zwei Stühlen". Erst mit dem Erwachsen-Werden rücke das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben, stärker ins Bewusstsein, deshalb erheben zahlreiche Menschen der zweiten Generation ihre Stimmen und engagieren sich für ihre Anliegen als AfrikanerInnen in Österreich.

Menschen afrikanischer Herkunft bilden eine soziale Minderheit in diesem Land, die sich aus sehr heterogenen Gemeinschaften zusammensetzt. Dennoch finde man "immer wieder Kanäle, um uns zu artikulieren", meint Mike Chuckwuma, Mitglied des Vereins "African Club" in Vorarlberg. Dies zeige sich an der Vielzahl afrikanischer Selbstorganisationen, die vor allem in den Bereichen Kunst, Kultur und Traditionspflege sehr gut aufgestellt seien. Aber auch über Kultur und Nationalität als Bindeglied hinaus finden Menschen durch ihre gemeinsamen gesellschaftspolitischen Ziele zusammen, um für eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu kämpfen. Diskriminierungserfahrungen, Mangel an gesellschaftlichen Möglichkeiten und das Bedürfnis, wahrgenommen und respektiert zu werden, seien die Gründe für das gemeinsame Auftreten von Menschen afrikanischer Herkunft, so Bitugu.

Die AVP ist aus dem Bedürfnis nach einer übergeordneten Plattform entstanden und ist eine klare politische Initiative, die den gemeinsamen Anliegen der AfrikanerInnen in Österreich aller Generationen mehr Transparenz und öffentliches Gewicht verleihen wird. Der Tenor in der AVP: "Lange genug haben die EuropäerInnen für uns gesprochen, nun sprechen wir für uns selbst."

VerfasserInnen: Elisabeth Strasser, Kamdem Mou Poh à Hom, Susanna Kubarth und das Chiala'Afriqas-Team.

Weitere Informationen zu den Persönlichkeiten, die für diesen Text interviewt wurden, finden Sie unter: www.chiala.at
AVP – Afrika Vernetzungsplattform im Web unter www.afrikaplattform.at

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