Gemeinsam sind sie stark

Von Michaela Krimmer · · 2010/02

Landwirtschaftliche Kooperativen sind in Indien eine Seltenheit. Doch ist das gemeinsame Wirtschaften Voraussetzung, um für den Fairtrade-Markt zu produzieren. Der Schritt nordindischer Reisbauern in mehr Verantwortung – und Rechte – ist jedoch mit Ängsten verbunden.

Die Vorteile lagen auf der Hand: ein fixierter Mindestpreis für den Reis, langjährige Handelsbeziehungen, Schulungen zu ökologischem Ackerbau und eine eigene Bio- und Sozialprämie. Die Reisbauern des nordindischen Kaddhar-Distrikts entschlossen sich 2001, dem Fairtrade-System beizutreten, 2003 wurden sie offiziell zertifiziert. Heute bauen 907 Bauernfamilien – ausschließlich die Männer sind die offiziellen Fairtrade-Bauern, die Frauen helfen angeblich auf den Feldern nur selten aus – im fruchtbaren Schwemmland des Ganges am Fuße des Himalaya Basmati-Reis an, der in Europa mit dem Fairtrade-Sigel verkauft wird.

Doch die Bauern stehen vor einer Herausforderung. Was in lateinamerikanischen Ländern über Jahrzehnte gewachsen ist, soll hier innerhalb von ein paar Jahren auf indische Verhältnisse übertragen werden: eine Kooperative. „Gemeinsames Wirtschaften ist Fairtrade-Standard“, erklärt Mukesh Sharma, verantwortlich für den Reiseinkauf bei den Fairtrade-ProduzentInnen des Kaddhar-Distrikts. Sein Arbeitgeber, der indische Reisexporteur Sunstar Overseas, hilft beim Aufbau der Kooperative.

Durch den Zusammenschluss sind die Bauern stärker am Markt. Eine größere Menge Reis kann einfacher an einen Exporteur verkauft werden. Sie bedeutet auch eine stärkere Position, um den Verkaufspreis zu verhandeln. Eine starke Bauernschaft kann sich einfacher ihren Handelspartner auswählen. Und schlussendlich müssen die Projekte, die mit der Fairtrade-Sozialprämie finanziert werden, auch gemeinschaftlich beschlossen werden.

Die geforderte Eigenständigkeit verängstigt manche Bauern: Mehr Rechte bedeuten auch mehr Verantwortung und Vertrauen in die Arbeitskollegen. Die Angst ist groß, dass eines der Mitglieder sich mit dem Geld der Fairtrade-Sozialprämie aus dem Staub machen könnte. Und nicht zuletzt: Eine Kooperative bedeutet Kommunikation, einander zuhören, diskutieren und gemeinsam Entscheidungen treffen.

Mahendra Singh, einer der Kaddhar-Reisbauern, hatte anfangs Zweifel, ob Fairtrade ein seriöser Geschäftspartner sei: „Es gab so viel Papiere zu unterschreiben, da habe ich gedacht, die wollen mich über den Tisch ziehen“, erzählt er. „Ich hatte Angst, sie wollen mir mein Land stehlen.“ Er trat trotzdem der „Federation of Small Farmers of Kaddhar Area“ bei, die die organisatorische Basis der zukünftigen Kooperative ist. „Erst als ich dann gesehen habe, die nehmen uns nur unsere Ernte ab – und das noch zu besseren Konditionen – war ich überzeugt.“

Fairtrade garantiert langjährige Handelsbeziehungen und die Abnahme der gesamten Ernte. Früher hatte Mahendra Singh die Reispflanzen seines Feldes abgeschnitten, die Körner aus den Ähren gedroschen und den Rohreis in Säcken auf einem Ochsenkarren verstaut, und fuhr dann über die staubigen Feldwege zum Markt in der nächsten Kleinstadt. Die Händler wussten, dass er verkaufen musste und handelten den Preis herunter. Manchmal fuhr er unverrichteter Dinge nach Hause. Die Miete für den Ochsenkarren musste er trotzdem bezahlen.

In solch schlechten Jahren verdingte sich Mahendra Singh früher monatelang in Delhi oder Mumbai als Tagelöhner auf Baustellen. Seine Frau und seine zwei Töchter blieben im Dorf zurück. Mahendra Singh ist froh, jetzt ein Fairtrade-Bauer zu sein, denn wie er sagt: „Meine Frau ist jetzt glücklich!“

Fairtrade zahlt einen fixierten Mindestpreis an die Kaddhar-Reisbauern. Seit der Nahrungsmittelkrise vor zwei Jahren liegt der Weltmarktpreis über dieser fixierten Rate. Jetzt wird den über 900 Fairtrade-Bauern des Kaddhar-Distrikts der höhere der beiden Einkaufspreise gezahlt. Schätzungen gehen davon aus, dass der Weltmarktpreis für Reis auch 2010 steigen wird: bis zu 50 Prozent. Denn der Monsun ließ in Kaddhar – und in anderen Reisanbaugebieten – auf sich warten. Während Zeitungen von Überschwemmungen durch den Monsun in Indien schrieben, schaute der 65-jährige Reisbauer Ramesh Chand besorgt zum Himmel, erzählt er selbst. „Es ist Gottes Wille, ob Regen kommt oder nicht“, meint er. Doch ist er sich gleich darauf nicht mehr so sicher: „Jetzt gibt es viel weniger Regen als früher. Aber ich bin nicht gebildet genug um zu sagen, warum das so ist.“

ExpertInnen wie Nutan Kaushik vom renommierten Energie- und Ressourceinstitut in Delhi sagen, dass der Klimawandel die größte Herausforderung für die indische Landwirtschaft in den kommenden Jahrzehnten sein wird. „Wir stehen jetzt schon vor großen Problemen: einerseits Wassermangel, andererseits Überschwemmungen. Die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit ändern sich und schaffen günstigere Bedingungen für Schädlinge und Krankheiten“, erklärt sie. Ob nun genmanipulierte, resistentere Arten oder biologischer Ackerbau besser geeignet seien, um dem Klimawandel die Stirn zu bieten, da will sie sich nicht festlegen. Beides habe sein Potenzial. Der Anbau von genmanipuliertem Reis ist in Indien – noch – verboten.

Die Kaddhar-Reisbauern und Fairtrade setzen auf biologisch nachhaltige Produktion, für die den Bauern eine Extraprämie bezahlt wird. Für Mahendra Singh war die Umstellung auf Bio kein Problem. Er und die anderen Bauern hätten schon vorher kaum Pestizide verwendet – dazu waren sie einfach zu arm. Als sparsamer Mann hat er mit der Bio-Prämie als erstes sein Lehmhaus in ein Ziegelhaus umgewandelt. Nach und nach kamen ein Handy, ein Fernseher und sogar eine Klimaanlage dazu – die jedoch immer ausgeschaltet bleibt. Seine beiden Töchter fahren mit dem Bus in die zehn Kilometer entfernte bilinguale Schule. Mahendra Singhs älteste Tochter Kuldeep möchte Computertechnikerin werden. „Da werden wohl meine nächsten Prämien in einen Laptop investiert“, sagt Singh nachdenklich.

Kashmir Singh hat auch Geld sparen können: Gemeinsam mit seinen fünf Brüdern hat er einen roten Traktor der Marke Mahindra gekauft. Nach jedem Pflügen seiner Reisfelder schrubbt er ihn blitzblank und stellt ihn in seinen Hof. Seine beiden Söhne arbeiten mit ihm am Feld, seine Tochter ist in einem anderen Bundesstaat verheiratet. Er ist zufrieden. Nicht nur er hat nun ein relativ stabiles Einkommen, sondern auch seine Frau. Sie geht neben der üblichen Hausarbeit noch dem Nähen nach. Gleich neben ihrem Haus wurde mit der Sozial-Prämie von Fairtrade ein Nähzentrum aufgebaut. Alle Frauen des Dorfes – auch die von Nicht-Fairtrade-Bauern – können dort lernen, Kleidung, wie den traditionellen Shalwar Kamis, zu nähen, die sie im Dorf oder am Markt verkaufen.

Alle Sozialprojekte müssen die Fairtrade-Bauern gemeinschaftlich beschließen. Einmal im Monat treffen sich die Mitglieder der sich nun formierenden Kooperative, besprechen das Wetter, den Reispreis oder auch neue Sozialprojekte. „Da kann es schon einmal heiß hergehen“, sagt Tirath Pal Singh, der gewählte Präsident der „Federation of Small Farmers of Kaddhar Area“. Eine Bushaltestelle, eine Mauer, die die Dorfschule vor Überschwemmungen während des Monsuns schützt, eine Brücke oder auch ein Feldweg wurden bereits mit den Sozialprämien finanziert. Kleine Schritte, scheint es, doch für die BewohnerInnen der Kaddhar-Region sind sie Ergebnis einer selbst bestimmten Entwicklungsarbeit.

Bis 2014 soll die „Federation of Small Farmers of Kaddhar Area“ sich zu einer eigenständigen Kooperative entwickelt haben, die Transport und Weiterverarbeitung des Rohreises selbst übernimmt und ihre HandelspartnerInnen und die Reismühle selbst auswählt. So hat sich zum Beispiel in Paraguay eine Fairtrade-Kooperative eine eigene Zuckermühle aufgebaut, um noch unabhängiger von anderen – nicht Fairtrade-zertifizierten – Betrieben zu sein.

Im Augenblick verkaufen die Kaddhar-Bauern ihren Reis an den Reismühlenbetreiber Sunstar Overseas, an dem es einiges zu bemängeln gibt. Der fünftgrößte Reisexporteur Indiens verfügt – vorsichtig gesagt – über zweifelhafte Arbeitsbedingungen: Eine Gewerkschaft wird nicht als notwendig empfunden. Auch sei man daran in Zukunft nicht interessiert, sagt der Geschäftsführer Ajay Katyal.

Klar ist: Das Fairtrade-System konzentriert sich auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bauern und kann nicht die ganze Handelskette kontrollieren. „Wir haben das Problem bereits erkannt“, sagt auch Rob Cameron, Geschäftsführer der Fair Labelling Organization (FLO), die die Standards für Fairtrade-ProduzentInnen festsetzt. Seit zwei Jahren gibt es eine Arbeitsgruppe von VertreterInnen von FLO und internationalen Gewerkschaften. Rob Cameron betont, dass die Regeln für die Händler in Zukunft strenger werden sollen.

Diese Debatte ist wohl nicht die Hauptsorge der Bauern, sondern eher die Sorge der Fairtrade-KonsumentInnen. Für die Bauern des Kaddhar-Disktrikts wird weiterhin am wichtigsten sein, den duftenden Basmatireis anzubauen, ihre Kinder in die Schule zu schicken – und die eigene Kooperative 2014 startklar zu haben.

Südwind-Redakteurin Michaela Krimmer besuchte mit Fairtrade im Oktober die Reisfelder des nordindischen Kaddhar-Distrikts.

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