Genug von der Urlaubs-Jagd

Von Kurt Luger · · 2023/Mai-Jun
Kurzkommentar

Urlauber:innen suchen oftmals Exotik, Intensität, das „Schöne“ – ohne Rücksicht auf Natur und Menschen vor Ort. Ein Wandel zu einem minimalinvasiven Tourismus ist dringend nötig.

Wir leben in einer Beschleunigungsgesellschaft, und so kommt es nicht von ungefähr, dass viele von uns die Urlaubstage nutzen wollen, um auszubrechen und die Unzumutbarkeiten dieser verrückten Welt hinter sich zu lassen. Mit so einem Abstecher und Fluchten in die ersehnten Kontrastwelten treten wir der Dreifachentzweiung des Ich entgegen – der Entzweiung mit der Natur, mit der Gesellschaft und mit uns selbst.

Viele leben während dieser Tage ihre narzisstischen Bedürfnisse aus. Denn: Reisen und Urlauben gehören in den westlichen Industriegesellschaften zur Ausgestaltung von Lebensentwürfen.

Lebensstile werden geradezu „kuratiert“, und in der Wahl des Urlaubs wird das romantische Ideal der Selbstverwirklichung mit dem bürgerlichen, leistungsbezogenen Streben nach Status und Bildung zusammengeführt. Dahinter steckt als zentrale Antriebskraft nicht nur die Neugier, sondern auch die Jagd nach dem „Schönen“, dem Einzigartigen, nach Exotik, Genuss und Intensität – nach dem kleinen Glück als Lebenssinn.

Dieses Modell funktionierte, bislang. Auf den Tourismus entfallen etwa 15 Prozent der globalen Wirtschaftsleistungen. Aber Milliarden von Ankünften und Abfahrten tragen auch etwa 6 Prozent zum globalen ökologischen Fußabdruck bei. 80 Prozent der tourismusbedingten Treibhausgase entstehen durch den Verkehr von und zum Urlaubsort.

Den zu dekarbonisieren ist notwendig, wenn wir die Agenda 2030 der Vereinten Nationen ernst nehmen. Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge sind die absoluten Dreckschleudern, die Versiegelung und der Verbrauch von Landschaft sind längst an einem Plafond angelangt. Dennoch entstehen weitere Appartements, Zweitwohnungen, Resorts in Schutzgebieten und Bürgermeister:innen von Alpendörfern stecken ihr eigenes Vermögen in dubiose Betongold-Investorenprojekte.

Die Branche hat einen gewaltigen Nachholbedarf an klimaschonenden bzw. nachhaltigen Angeboten, damit sich Tourist:innen überhaupt ökologisch einwandfrei verhalten können. Getrieben vom ökonomischen Kalkül beherrscht hauptsächlich standardisierte Massenware den Markt.

Überfüllte Städte oder Strände zeigen immer noch: Ökologisch schädliches Verhalten und Profitmaximierung passen gut zusammen! Die Zeche zahlen die überforderte Natur, die Bereisten entlang der Transitrouten oder jene Dienstleister:innen, durch deren Einsatz all das funktioniert.

Der Philosoph Jean Paul Sartre meinte einmal, Urlaubende verhielten sich wie „abgekühlte“ Soldaten, hätten ein dominantes Auftreten, vor allem dann, wenn sie in Massen in Erscheinung treten.

Es geht anders. Welterfahrung sammeln, sich den Freuden an fremden Orten hingeben, ohne dort oder auf dem Weg zur Belastung zu werden – das wäre hingegen die positive Vision, minimalinvasive Urlaubende also. Sie handeln eigenverantwortlich, sind informiert, suchen die umweltfreundlichsten, „sanften“ Mobilitätsangebote, bringen ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit mit, lassen sich auf die Atmosphäre des besuchten Orts ein. Dort zeigen sie den Bewohner:innen gegenüber Respekt, gehen offen auf sie zu und verhalten sich den Gepflogenheiten angemessen. Nur eine Utopie? Einen Versuch ist es wert!

Kurt Luger ist Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Kulturelles Erbe und Tourismus am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg.

Zuletzt erschien im Verlag Springer International sein Buch „Tourismus – Vom Reisen und Urlauben in unserer Zeit“.

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