Harte Gegner

Von Redaktion · · 2014/05

WhistleblowerInnen aus der Armee oder den Geheimdiensten werden am härtesten bestraft. Etwa Chelsea Manning, deren Fall NI-Autorin Alexa O’Brien genau verfolgt hat.

"Die Personen, denen dieses Büro gehört, sind damit befasst, Scheißsäcke zu erwischen“, heißt es auf einem Schild über den Schreibtischen in der Abteilung Zielfindung der Militärbasis Hammer östlich von Bagdad, Irak, wo Chelsea (vormals Bradley) Manning arbeitete. „Wenn du auch nur eine Sekunde glaubst, du kannst hier reinkommen und uns mit irgendeiner Schwuchtelscheiße auf die Eier gehen, dann solltest du über dein trauriges Leben nachdenken.“

Was Manning „auf die Eier“ ging, war, dass illegale Exekutionen und Gewalttaten durch organisatorische Unfähigkeit und die Uninformiertheit der Öffentlichkeit zur Dauererscheinung wurden. Im Unterschied zu anderen SoldatInnen, die keinen Zugang zu geheimen Informationen hatten, wusste Manning über die Wahrheit Bescheid, was ein Vorteil für sie war. Aber sie hatte außerdem ein Gewissen. Das wurde ihr zur Last.

Wegen der Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen niedriger Geheimhaltungsstufe und nicht geheimer Informationen über die Kriege in Irak und Afghanistan und die US-Diplomatie im Ausland wurde Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt. Vom Anklagepunkt „Unterstützung des Feindes“ freigesprochen, wurde sie letztlich wegen Spionage, Überschreitung der Zugriffsberechtigungen, Diebstahl von US-Eigentum und grob fahrlässiger Veröffentlichung verurteilt.

Zu den Enthüllungen Mannings gehörte das Video „Collateral Murder“, aufgenommen von einem Apache-Helikopter im Juli 2007, das die Tötung von zwölf irakischen ZivilistInnen (darunter zwei Reuters-Mitarbeiter) auf den Straßen Bagdads zeigt. „Schau dir diese toten Arschlöcher an!“, sagt ein US-Soldat nach der Schießerei. „Niedlich“, antwortet ein anderer.*)

Nach ihrer Verurteilung schrieb Manning einen Brief an die britische Tageszeitung The Guardian, in dem sie sich als Verfechterin von Transparenz beschrieb. „Meiner Ansicht nach kann die Öffentlichkeit nicht entscheiden, welche Maßnahmen und Vorgangsweisen gerechtfertigt sind oder nicht, wenn sie nicht einmal im Geringsten darüber und über ihre Auswirkungen informiert ist“, heißt es in dem Brief.

Aus Feldberichten vom Krieg in Irak, die sie der Öffentlichkeit übermittelt hatte, konnte laut Iraq Body Count (iraqbodycount.org) auf 15.000 bisher unbekannte zivile Todesopfer geschlossen werden. Die von ihr enthüllten Berichte vom Krieg in Afghanistan veranschaulichten laut Manning, wie „wir uns beim Versuch, den Terrorismus zu bekämpfen … und im Rahmen der Aufstandsbekämpfung darin verrannt haben, anhand von Listen menschliche Ziele zu erwischen und zu töten … und die mit der Erreichung kurzfristiger Ziele und Aufgaben verbundenen Auswirkungen zweiter und dritter Ordnung ignoriert haben.“

Manning gab auch 251.287 diplomatische Depeschen niedriger Geheimhaltungsstufe an Wikileaks weiter, die zuvor bereits unter zumindest einer halben Million US-BeamtInnen und Auftragnehmern von US-Bundesbehörden verbreitet worden waren.

Eine Depesche bezog sich auf die Tötung eines irakischen Bauern und seiner Familie durch US-Truppen im Jahr 2006. Behauptungen, Truppen „hätten eine Familie exekutiert … und dann die angeblichen Verbrechen durch die Ausführung eines Luftschlags verborgen, sind absolut falsch“, so ein US-Beamter nach dem Vorfall. Aber Autopsien in einem Krankenhaus in Tikrit ergaben, dass „alle Leichen Kopfschüsse aufwiesen und an den Händen gefesselt waren“, schrieb Philip Alston, der UN-Sonderberichterstatter zu extralegalen, summarischen und willkürlichen Hinrichtungen. Bei dem nächtlichen Angriff der US-Armee wurden elf Personen getötet, darunter eine alte Frau in ihren Siebzigern und ein fünf Monate altes Baby. (Bisher wurde niemand dafür zur Rechenschaft gezogen.)

Offizielle Kanäle. „Wenn Sie Angehöriger des Militärs sind und Uniform tragen, wird erwartet, dass Sie die Informationen im Rahmen Ihrer Befehlskette weitergeben“, erklärt Dan Meyer, Leiter der Abteilung Whistleblowing und Transparenz des Pentagons. „Chelsea kannte das System“, wendet David Coombs ein, der Anwalt Mannings. „Sie gelangte zur Auffassung, dass die Informationen nach wie vor regierungsintern bleiben und nicht veröffentlicht würden, wenn man die so genannten ‚legitimen Kanäle‘ benutzte.“

Edle Motive zählen nicht. „Bis heute hat der Military Whistleblower Protection Act von 1988 weit mehr Opfer erzeugt als Opfern geholfen“, konstatiert Tom Devine, Leiter für Rechtsangelegenheiten des Government Accountability Project.

Der US-Kongress hat kürzlich versucht, das Gesetz zu verbessern, das WhistleblowerInnen vor Vergeltungsmaßnahmen durch KollegInnen und Vorgesetzte schützen soll. Aber Manning war mit einer Vergeltung durch den Staat selbst konfrontiert. Vor dem Prozess hatten prominente Kongressabgeordnete ihre Hinrichtung gefordert, und Präsident Barack Obama hatte – ebenfalls vor dem Prozess – erklärt, sie hätte sich gesetzwidrig verhalten.

Offizielle Kanäle für WhistleblowerInnen aus dem Militär „schützen nur eine interne Weitergabe geheimer Informationen in Einklang mit den Gesetzen“, erklärt Jesselyn Radack vom Government Accountability Project. „Gesetzmäßig“ bedeutet, so argumentieren US-Staatsanwälte, dass die Geheimhaltungsvereinbarungen, die BeamtInnen unterzeichnen, wenn sie Unbedenklichkeitserklärungen beantragen, mehr Gewicht haben als ihre Rechte nach dem ersten Zusatzartikel zur Verfassung.

„Bloß weil Sie glauben, dass etwas, was geheim abläuft, aufgedeckt werden sollte … damit die Öffentlichkeit erfahren kann, dass ihre Regierung etwas tut, das Sie für falsch halten, rechtfertigt das [die Veröffentlichung] nicht“, schrieb Richter T. S. Ellis III in einem anderen Spionagefall. „Edle Motive machen die Gesetzesverletzung nicht ungeschehen.“

Bei ihrem Prozess durfte Manning weder über die Gründe für ihre Enthüllungen noch über ihre Absicht sprechen, die Öffentlichkeit „in gutem Glauben“ zu informieren. Im Unterschied zu Großbritannien ist es in den USA nicht möglich, sich zur Verteidigung auf „öffentliche Interessen“ zu berufen, die mehr wiegen könnten als die Unterzeichnung einer offiziellen Geheimhaltungsvereinbarung.

Es besteht kein Zweifel daran, dass viele US-Militärs, die in Konfliktgebieten eingesetzt wurden, Zeugen von Kriegsrechtsverletzungen wurden oder Gräueltaten miterlebt haben. Obwohl US-KriegsveteranInnen nur zehn Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentieren, entfällt einem kürzlichen Bericht zufolge jeder fünfte Selbstmord auf diese Gruppe. Ob diese erhöhte Selbstmordrate auf ethische oder moralische Konflikte wie im Fall von Manning zurückzuführen ist, ist unbekannt.

Sicher ist allerdings, dass die Öffentlichkeit heute weit besser über die Realität der US-geführten Interventionen in Irak und Afghanistan informiert ist. Manche meinen sogar, die Enthüllungen von Manning hätten zu einem rascheren US-Abzug aus Irak beigetragen.

Nach ihrer Verurteilung beantragte Manning eine Begnadigung durch den Präsidenten. Die Regierung hat jedoch entschieden, das Ansuchen von Manning erst vorzulegen, wenn das Berufungsverfahren abgeschlossen ist. Bedauerlicherweise – für Manning – ist davon auszugehen, dass das noch Jahre dauern und Obama dann nicht mehr Präsident sein wird.

Alexa O’Brien ist eine unabhängige US-Forscherin und Journalistin. Sie hat u.a. ein umfassendes Archiv zum geheimen Manning-Prozess angelegt. usvmanning.org

*) Wikileaks „Collateral Murder“ – Irak-Video, www.collateralmurder.com

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