I love Dollars

Von Brigitte Voykowitsch · · 2009/09

Die Gier nach Geld, Besitz und Macht ist ein prägendes Thema der zeitgenössischen chinesischen Literatur. Die Volksrepublik ist heuer der Ehrengast bei der Frankfurter Buchmesse.

Es gibt heute viele Nationalisten in China. Sie wollen nur das Bild von einem China wahrnehmen, das bei den Olympischen Spielen ein paar Dutzend Goldmedaillen holt, aber sie wollen nicht lesen, was ich in meinem Buch schreibe“,. sagt Yu Hua. „Die Goldmedaillen sind jedoch nur ein Aspekt von China, ich behandle in meinem Werk andere Aspekte – eben die hässliche Seite von China.“ „Brüder“ nennt sich der jüngste, knapp 800 Seiten dicke Roman des Autors. Rechtzeitig vor der Frankfurter Buchmesse liegt das Werk in deutscher Übersetzung vor.

Der 59-jährige Yu Hua zählt neben Mo Yan, Zhang Jie, Wang Anyi, Hong Ying, Mian Mian und Zhu Wen zu den derzeit bekanntesten chinesischen AutorInnen, die in China leben. Zahlreiche andere aus China gebürtige SchriftstellerInnen, deren Werke auf Deutsch erhältlich sind, leben in der Diaspora, vor allem in den USA. Dazu gehören u.a. Anchee Min, Ha Jin, Qiu Xiaolong und Luo Lingyuan.

In „Brüder“ erzählt Yu Hua mit viel schwarzem Humor die Geschichte der beiden Stiefbrüder Li Guangtou – Glatzkopf Li – und Song Gang vor dem Hintergrund der Kulturrevolution, dem Ende der Mao-Ära 1976 und den danach eingeleiteten Wirtschaftsreformen, die bald unter das Motto „Reich werden ist ruhmreich“ gestellt wurden. Song Gang, der ältere der beiden Brüder, kann der ökonomischen Umstellung nur schwer folgen. Am liebsten würde er für immer in seinem Job in einer Fabrik bleiben, doch seine Entlassung zwingt ihn dazu, sich auf dem freien Markt zu behaupten. Glatzkopf Li hingegen findet sich im neuen, von grenzenloser Gier gekennzeichneten Markt schnell zurecht, scheffelt Millionen und träumt schließlich von einem Flug zum Mond.

Das Buch wurde trotz seines Inhalts ein Bestseller in China, wo bereits mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Ein Teil der Kritiker verwarf dagegen das Werk als ein Schwelgen in Müll und Finsternis und als würdeloses Bild von China. Yu Hua lässt sich davon nicht beeindrucken.

Auch Zhu Wen behandelt in seinem Erzählband „I love Dollars“ Geldgier, mafiose Tätigkeiten, kafkaeske Machtverhältnisse und Sex – allesamt Themen, die das chinesische Regime in diesem Umfang lieber nicht bei der Buchmesse haben wollte, weswegen es hinter den Kulissen auch zu einigen Unstimmigkeiten und schwierigen Verhandlungen gekommen ist.

Sex – das ist und bleibt Mian Mians zentrales Thema, auch Zensur und Verbot früherer Werke haben sie davon nicht abbringen können. Ihr neuer Roman „Panda Sex“ spielt in der Shanghaier Club- und Undergroundszene. „Ich schreibe über die Welt, in der ich verkehre und die ich kenne“, sagt Mian Mian und betont: „Ich vertrete weder Shanghai noch China.“ Besonderen Wert legt sie darauf, nicht missverstanden zu werden: „Manche glauben nach der Lektüre meiner Werke, ich sei eine Frau, die jeder haben könnte. Dabei behandle ich ganz ernste Fragen: Was bedeuten Liebe und Beziehung eigentlich? Wie gehen wir damit um? Worauf lassen wir uns ein?“

Bereits im Vorjahr ist „Peking Girls“ von Wang Anyi (Annie Wang) erschienen, dessen englischer Originaltitel „The People’s Republic of Desire“ eine Anspielung auf die Begierden in „The People’s Republic of China“ enthält. Die 1972 geborene Wang Anyi ist geprägt von der Aufbruchsstimmung der 1980er Jahre, jener Zeit zwischen dem Ende der Mao-Ära 1976 und der Niederschlagung der Studentenbewegung am Tiananmen-Platz 1989, als Viele von einer raschen Entwicklung Chinas zu Freiheit und Demokratie träumten. „Unabhängig denken können, frei denken können: Was das bedeutet, habe ich damals verstanden“, sagt Wang Anyi. Sie hat auch Verständnis für die banalen Seiten der Sehnsucht nach Freiheit – etwa die Freude an Mode und einem schicken Lebensstil. Nach dem Übermaß an Ideologie während der Mao-Ära sei es „einfach befreiend, auch banal sein zu dürfen“, meint Wang Anyi.

Das zeitgenössische China vor dem Hintergrund der jüngsten Geschichte wird von den AutorInnen in vielfältiger Weise aufgearbeitet. Diese kennen einander vom Namen, haben einander aber nicht unbedingt gelesen. Gruppen oder Schulen fühlen sie sich nach eigenen Worten nicht zugehörig.

Mo Yan, den Fachleute als des Nobelpreises würdig erachten, lässt auch sein jüngstes Werk „Der Überdruss“ wieder am Land spielen, und zwar im Kontext von Maos Landreformbewegung. Weiter zurück in der Geschichte geht Zhang Jie in ihrem dreiteiligen und von der chinesischen Kritik hoch gelobten Opus Magnum „Ohne Worte“, von dem zu ihrem Bedauern aber noch keine Übersetzungen ins Englische oder Deutsche geplant sind. Das nach Zhang Jies Angaben hochphilosophische Werk spielt vor dem Hintergrund von „Chinas tragischem 20. Jahrhundert“. Die Werke, die auf Deutsch von Zhang Jie erhältlich sind – etwa die Neuauflage von „Abschied von der Mutter“ – sind für die Autorin Vergangenheit – „die alten Sachen wieder zu bringen, wirkt ja, als sei ich schon tot“, meint sie.


Die Autorin arbeitet als freie Journalistin schwerpunktmäßig zu Südostasien und bereiste kürzlich China.

Mehr zu China und chinesischer Literatur von Brigitte Voykowitsch: Ö1/ Radiokolleg 28.9.- 1.10, 09:05, China: zwischen Konfuzius und McWorld. Und mehr zur Frankfurter Buchmesse (14.-18. Oktober) auf www.buchmesse.de/de/fbm

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