„In den Rachen der Wölfe geworfen“

Von Redaktion · · 2013/12

Sarajuddin Rasuly, Politikwissenschaftler und Afghanistan-Experte, spricht im Interview mit Christina Bell über das angekündigte Ende der internationalen Militärpräsenz in Afghanistan..

Südwind-Magazin: Die internationale Militärpräsenz in Afghanistan soll 2014 enden. Wie wird sich das auswirken?
Sarajuddin Rasuly:
Wenn die Ausländer abziehen, gibt es Bürgerkrieg. Nach dem Abzug der Sowjets 1989 hat man Afghanistan allein gelassen und buchstäblich in den Rachen der Wölfe geworfen: Iran, Pakistan, Saudi-Arabien. Ein restloser Abzug wäre auch heute sehr verantwortungslos, das wird der Westen nicht machen. Natürlich wird ein Teil der internationalen Truppen abgezogen, aber die größten Länder wie die USA oder Deutschland werden weiterhin präsent sein.

Wie ist die Sicherheitslage momentan?
Ich stamme aus der Region Kunduz im Nordosten des Landes. Seit dem Sturz der Taliban 2001 war ich jedes Jahr in Kunduz und habe mich dort wohl gefühlt. Aber seit 2010 kann ich wegen der prekären Sicherheitslage nicht mehr als zwei oder drei Tage dort bleiben. Ende September war ich wieder in Afghanistan. In meinem Heimatdorf konnte ich mich nur drei Stunden aufhalten. Die Sicherheitslage ist katastrophal und verschlimmert sich von Jahr zu Jahr. Mit der Präsenz der ausländischen Truppen hätte es besser werden sollen. Aber die haben sich nach und nach nicht mehr um die Sicherheit der Leute gekümmert, sondern um ihre eigenen Experimente.

Der Zerfall des Staates macht sich überall außer in Kabul und einigen anderen Provinzhauptstädten bemerkbar. Die Taliban können ohne Furcht vor Behörden Menschen auf der Straße erschießen oder mitnehmen. Die Bevölkerung auf dem Land ist auf sich selbst angewiesen. Sie hat kein Vertrauen in die korrupten Behörden, deshalb besorgen sich alle, die können, eine Waffe zum eigenen Schutz.

Ist es für Sie besonders gefährlich, weil Sie prominent sind?
Es ist immer ein Risiko, nach Afghanistan zu fahren. Reisende, die rasiert und gepflegt unterwegs sind, können angehalten werden und mit den Taliban Probleme bekommen. In Afghanistan ist seit der Entstehung der Taliban eine Unkultur entstanden: Je bärtiger und ungepflegter man ist, umso weniger fällt man auf. Europäischen Ausländern würde ich nicht raten, nach Afghanistan zu reisen: Das Land ist zu einem Sammelpunkt der Geheimdienste der Regional- und Großmächte geworden. Jeder kocht seine Suppe dort.

Wenn den Saudis, den Pakistanis oder den Iranern eine Aktion des Westens nicht gefällt, dann nehmen sie einen Europäer als Geisel. Der wird dann gegen „wichtige Taliban“ ausgetauscht, unter denen sich pakistanische oder iranische oder saudische Agenten befinden.

Einsatz in Afghanistan

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) basiert auf der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1401 vom März 2002. Das mehrfach verlängerte Mandat endet im März 2014. Die Mission hat ca. 1.000 hauptsächlich afghanische MitarbeiterInnen.

Die Sicherheits- und Aufbaumission (ISAF) agiert unter NATO-Führung seit 2001. Sie wurde mit Genehmigung durch den UN-Sicherheitsrat entsandt (Resolution 1386). Zuvor war das Taliban-Regime von einer US-geführten, internationalen Koalition gestürzt worden, was zur jüngsten Phase des seit 30 Jahre andauernden Konfliktes im Land führte. 2012 waren 50 Staaten mit knapp 130.000 Soldaten an ISAF beteiligt, auch Österreich. Im Dezember 2014 endet die Mission, das genaue Vorgehen nach 2014 wird derzeit diskutiert. red

Also ist die Situation auch für Sie undurchschaubar?
Das ist genau das richtige Wort. Die Situation ist derzeit ähnlich wie nach dem Abzug der sowjetischen Armee 1989. Dieselbe Unsicherheit ist in der Bevölkerung derzeit spürbar. Die Ankündigung des Abzugs der internationalen Truppen war für die Bevölkerung furchterregend. Die Menschen haben Angst, dass der Bürgerkrieg wieder ausbricht und die Taliban wieder die Oberhand gewinnen könnten. Würden die Amerikaner kommunizieren, dass ein Teil ihrer Truppen bleibt, könnte sich die Bevölkerung sicherer fühlen.

Die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung hatten erfolgreiche Entwaffnungsprogramme. Heute fahren die Leute wieder offen bewaffnet herum. Je näher 2014 rückt, umso unsicherer wird Afghanistan.

Im Frühjahr 2014 finden Wahlen in Afghanistan statt. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass sie fair sein werden?
Die Wahlen werden nicht fair verlaufen. Präsident Hamid Karzai hat seine Macht so weit ausgebaut, dass er alle Menschen, die für den Staat arbeiten, von sich abhängig gemacht hat. Diese wird er bei den nächsten Wahlen, im April 2014, unter Druck setzen, um einer Person seiner Wahl zum Sieg zu verhelfen.

Woran glauben die Menschen noch?
Die Menschen in Afghanistan verlieren nie die Hoffnung, aber sie vertrauen den Behörden von Präsident Karzai nicht. Trotzdem haben alle ein Interesse daran, wer die Wahlen gewinnt. Sie glauben, dass jeder, der nach Karzai kommt, Veränderung bringen kann.

Welche Lösung kann es für Afghanistan geben?
Der Krieg in Afghanistan ist ein künstlicher Krieg, hinter dem vor allem Pakistan steckt. Aber auch der Iran und Saudi-Arabien sind nicht unbeteiligt. Die Pakistanis haben die Taliban erfunden. Würde man diesen Sumpf „Taliban“ in Pakistan austrocknen, gäbe es bald keinen Krieg in Afghanistan mehr. Der pakistanische Geheimdienst bildet  und rüstet die Taliban weiterhin aus. Seine Hand reicht bis in das kleinste Dorf in Afghanistan. Daher hängt die Lösung des Problems von Pakistan ab.

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