„Kirche als Wellness-Programm“

Von Redaktion · · 2009/12

Der Religionssoziologe Heinrich Schäfer erforscht religiösen Fundamentalismus und evangelikale Bewegungen. Mit Südwind-Redakteurin Michaela Krimmer sprach er über christlichen Fundamentalismus, religiöse Identitätspolitik und Milliarden-Dollar-Profite von Pfingstkirchen.

Südwind: Gibt es christlichen Fundamentalismus im globalen Süden?
Heinrich Schäfer:
Man muss sehr, sehr vorsichtig sein, im globalen Süden von christlichem Fundamentalismus zu reden, denn dort sind die evangelikalen Kirchen meist soziale Bewegungen. Natürlich gibt es ein paar Akteure, die als fundamentalistisch gesehen werden müssen, wie z. B. Christen, die mit Muslimen in Nordnigeria in Konflikt stehen, auch die Igreja Universal do Reino de Deus in Brasilien oder die Lord’s Resistance Army in Norduganda – obwohl diese Gruppe eine ziemlich einzigartige religiöse Mischung ist.

Wie politisch oder apolitisch sind Evangelikale und Pfingstler?
Das kann man so nicht fragen, denn man kann gar nicht von den Pfingstlern allgemein sprechen. Wichtig ist die soziale Position, in der sich Pfingstler in ihrem Land, ihrer Region oder global gesehen befinden. Nehmen sie eine der kleinen Kirchen in einem Slum, in der die Ärmsten der Armen durch diese Kirchen ihre durch Arbeits- und Lebensumstände schwerbeschädigte Würde wiedererlangen und sich den Alltag damit erklären können. Sie machen in ihrer kleinen Bretterbuden-Kirche ihr Ding und haben kein Interesse an Politik. Das könnte sogar kontraproduktiv sein, gerade wenn es im Land politische Unstimmigkeiten gibt und sich das negativ auf diese Kirchen auswirken könnte. Diesen Menschen geht es vor allem darum ihre eigene Lebenssituation zu verbessern und ihren Alltag mit den täglichen 50 Cent, die man im Schnitt vielleicht verdient, zu organisieren. Das ist eine Kirche von Menschen, die politisch geringe Handlungsmöglichkeiten haben.

Wer hat dann politische Handlungsmöglichkeiten unter den Gläubigen?
Politik wird nicht von den Pfingstlern generell gemacht, sondern von spezifischen pfingstlichen Statusgruppen aus der aufsteigenden, oberen Mittelschicht. Nehmen wir eine Kirche wie Renacer in Brasilien, die Ärzte, Intellektuelle, Anwälte, das mittlere bis obere Management – Frauen wie Männer – als Klientel hat. Also nicht die ganz Reichen, die mit dem Hubschrauber zur Arbeit kommen, aber die doch etwas Geld haben. Die Kirche ist für sie so eine Art Wellness-Programm gegen den Stress. Sie lassen sich dort Sachen sagen wie: „Jetzt habt ihr Macht und ihr könnt eure Gegner besiegen, in ihnen sind nämlich Dämonen am Werk.“ In Kirchen der oberen Mittelschicht wird am ehesten aggressiv Politik gemacht, auch von der Kirchenleitung. Ganz extrem ist das bei der Igreja Universal in Brasilien, in der die Kirchenleitung in Übereinstimmung mit Mitgliedern aus der Mittelschicht knallharte Politik betreibt. Die Gläubigen schließen sich keiner bestimmten Partei an, sondern wählen nur „christlich“. In diese religiöse Identitätspolitik lassen sich natürlich gut politische Kandidaten einbringen. Ganz ähnlich wie in Nigeria. Es gibt dort tausende kleine Kirchen, die nichts anderes tun, als sich täglich zu organisieren, um zu überleben. Doch es gibt auch die Redeemed Christian Church of God, die direkt in die Politik eingreift.

Gibt es Unterschiede in der religiösen Praxis innerhalb der sozialen Schichten?
In der Religionssoziologie in Bielefeld nennen wir das den sozialen Raum der religiösen Stile. Die religiösen Stile verteilen sich anhand der Machtverteilung im sozialen Raum und sind dadurch sehr unterschiedlich. Ob Pfingstler politisch sind oder nicht, ist immer abhängig von ihren politischen Handlungsmöglichkeiten vor Ort. Wenn jemand, der Macht hat, die Macht des Heiligen Geistes empfängt, dann tut er nichts anderes, als seine Macht zu legitimieren. Wenn jedoch ein armer Mensch ohne Macht und politischen Handlungsmöglichkeiten sagt, der Heilige Geist ist in mich gefahren und gibt mir Macht, dann sagt er etwas ganz anderes als sein reicher Glaubensbruder: Er spricht eher von neuem Mut, am nächsten Tag weiterzumachen und nicht aufzugeben.

Wie schaut es mit den Finanzen dieser Kirchen aus?
Sie finanzieren sich über Mitgliedsbeiträge. Die kleineren Kirchen hätten gerne etwa zehn Prozent des Gehalts der Mitglieder. So viel geben die meisten aber nicht, obwohl jeder gerne zahlt, denn sie wollen ja, dass die Kirche weiterhin existiert. Es gibt aber auch noch ganz andere Praktiken. Große Pfingstkirchen wie die Igreja Universal in Brasilien investieren das eingenommene Geld in Unternehmen, v.a in die Medien- und Immobilienbranche. Diese Kirche ist ein Milliarden-Dollar-Unternehmen mit enormen Profiten. Ihr gehört der drittgrößte Fernsehsender in Brasilien. Einige wenige Gemeinden kommen aus der oberen Mittelschicht, die meisten dieser Kirchen, man könnte sie schon fast Servicecenter nennen, stehen aber in den großen Straßen außerhalb der Armensiedlungen. Dort kommen die Bewohnerinnen und Bewohner der Slums hin und empfangen gegen Bezahlung einen religiösen Service, wie etwa Dämonenaustreibung. Die Menschen zahlen Unmengen an Geld, das dann investiert wird. Bei der Kirche Deus e Amor funktioniert das auch sehr gut. Das ist das Business der großen Neo-Pfingstkirchen. Ältere, auch große Kirchen, wie Asamblea de Deus, tun das nicht. Sie investieren auch gelegentlich, aber eher in profitable Schulen oder Krankenhäuser. Sie nehmen ihre Mitglieder nicht dermaßen aus und bilden nicht so ausgeprägte Hierarchien, wie das bei den Neo-Pfingstkirchen geschieht. Bei der Igreja Universal sind die Chefs tatsächlich Millionäre.

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