Klein, aber oho

Von Robert Poth · · 1999/07

Mikrokredite mögen kein Allheilmittel gegen die Armut sein. Aber ihre rasche Expansion beweist zumindest eines: Der Bedarf ist gewaltig.

Es ist nachweislich möglich, Menschen einen Ausweg aus der Armut zu bieten, und diese Tätigkeit selbsttragend zu finanzieren. Für Michael Chu von Accion Internacional eine geradezu „revolutionäre Errungenschaft“. Accion Internacional ist eine US-Organisation, die in Nord- und Südamerika Pionierarbeit in Sachen „Mikrokredit“ geleistet hat.

Das Konzept – die Vergabe kleiner Kredite an Arme, um ihnen den Einstieg in selbständige Erwerbstätigkeiten zu ermöglichen – hat jedenfalls eingeschlagen. Heute gibt es nach Weltbankangaben weltweit rund 7.000 Mikrokreditprogramme, einige hundert auch in Industrieländern, mit etwa 16 Millionen TeilnehmerInnen. Der Schwerpunkt liegt derzeit in Asien, insbesondere in Bangladesch, wo fünf der zehn größten Programme bestehen.

Die weltweiten Spareinlagen von Mikrokreditprogrammen wurden 1997 auf 1,33 Millarden US-Dollar geschätzt. Und der Sektor scheint rasch zu expandieren: 2005 könnte es mehr als 55 Millionen MikrokreditkundInnen geben (siehe Grafik), wobei sich das Gewicht nach Afrika verlagern dürfte. Dort rechnet man mit einer Verelffachung des Kundenstocks bis 2005.

Ein Flaggschiff hat der Kontinent bereits: Das Kenya Rural Enterprise Program (K-Rep), das als erste afrikanische Mikrofinanzinstitution (MFI) eine Banklizenz erhielt.

Damit hievte sich K-Rep in die Oberliga der Mikrofinanzierung, wozu nur einige wenige Institutionen wie die Grameen Bank in Bangladesch oder BancoSol in Bolivien gehören.

Die Grameen Bank etwa hat seit ihren Anfängen in den siebziger Jahren rund 2,7 Milliarden US-Dollar an ihre fast 2,4 Millionen Mitglieder (95% Frauen) verliehen.

BancoSol betreut rund 75.000 KreditkundInnen oder fast ein Drittel aller BankkundInnen des Landes. Viele MFIs finanzieren sich bereits über kommerzielle Bankdarlehen. BancoSol plaziert innovative Wertpapiere in den USA und Frankreich, und mit ProFund (Costa Rica) besteht sogar ein Investmentfonds für MFIs.

Deren Rentabilität hat nun auch konventionelle Banken dazu motiviert, eigene Mikrokredit-Abteilungen zu gründen, etwa die Multicredit Bank in Panama oder die Banco del Desarrollo in Chile.

Geht es nach dem „Microcredit Summit“, der unter Beteiligung zahlreicher Regierungschefs, UNO-Organisationen und der Weltbank im Februar 1997 in Washington tagte, soll das Geschäft noch rascher expandieren: Mikrokredite gelten zwar nicht als Allheilmittel, aber doch als wirkungsvolle Waffe im Kampf gegen die Armut.

Das Ziel: bis 2005 100 Millionen der Ärmsten erreichen, und zwar vor allem Frauen. Der Finanzierungsbedarf wird auf 21,6 Milliarden US-Dollar geschätzt. 11,6 Milliarden davon wären in Form von Zuschüssen und weichen Krediten erforderlich, der Rest könnte zu kommerziellen Bedingungen bzw. von den Programmen selbst finanziert werden.

Mit der internationalen Koordinierung ist die „Consultative Group to Assist the Poorest“ (CGAP) betraut, die 1995 unter dem Dach der Weltbank gegründet wurde. Ihr gehören mehrere westliche Regierungen und internationale Institutionen an. Selbstverpflichtungen im Rahmen informeller „Councils“ sollen dazu beitragen, das ehrgeizige Ziel zu erreichen.

Auch die österreichische Entwicklungszusammenarbeit ist beteiligt. Zur Zeit werden 15 Mikrofinanzprogramme zu jährlichen Kosten von 30 Millionen Schilling verwaltet, eine Summe, die bis 2003 auf 45 Millionen steigen soll, sagt Karin Reinprecht, Konsulentin des Außenministeriums für Mikro-, Klein- und Mittelbetriebe.

Die begeisterte Umarmung der Mikrokredit-Idee durch die internationale Gemeinschaft hat allerdings sogar bei BefürworterInnen Bedenken ausgelöst. Zuviel Kapital, so die Befürchtung, könnte Programme in eine unkontrollierte Expansion und in den Bankrott führen und der Idee fatalen Schaden zufügen. Genau das wäre 1995 fast Finansol passiert, einem bislang erfolgreichen kolumbianischen Programm mit 40.000 KundInnen. Der drohende Kollaps konnte gerade noch abgewendet werden, unter anderem mit einer Eigenkapitalspritze von zwei Millionen US-Dollar.

Experten wie Ben Rogaly von der britischen OXFAM sehen sich auch gezwungen, einige übertriebene Ansprüche von „Mikrokredit-Missionaren“ zurechtzurücken. Einmal funktionierten Mikrokredite nur, wenn die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse stimmen: Hohe Inflation etwa sei der Tod jedes Mikrokreditprogramms. Zweitens sei nicht klar, welche Zielgruppen tatsächlich profitierten: Erwiesenermaßen hilft Mikrofinanz vor allem jenen Armen, die gute Investitionsmöglichkeiten haben.

Diese Gruppe ist aber nicht deckungsgleich mit jenen „unteren 50% der Armen“, die der Microcredit Summit erreichen will. Etwa gehörten 1996 nur 20% der Grameen-KundInnen zu den „Landlosen“, den traditionell Ärmsten in Bangladesch, während BancoSol die Ärmsten eher ausschließt – was manche andere Programme, etwa in Bangladesch, sogar ausdrücklich tun.

Auch sind kurze Laufzeiten und hohe Zinssätze, die von vielen Programmen gefordert werden, um rasch zu expandieren und die Kosten zu decken, nicht für jeden Bedarf geeignet. Zwar verträgt der „Markt“ auch Realzinsen (Inflation eingerechnet) von bis zu 80% oder mehr, da sie oft nur einen geringen Kostenfaktor darstellen: Bei MikrounternehmerInnen in Chile, Kolumbien und der Dominikanischen Republik etwa, so eine Studie, beliefen sich die Zinsen (im Schnitt 6,3% monatlich) nur auf 0,4 bis 3,4 % ihrer Gesamtkosten.

Viele Arme brauchen jedoch Kredit, um Einkommensausfälle oder die Zeit bis zur Ernte zu überbrücken oder einmalige Ausgaben zu finanzieren.

Skeptiker weisen darauf hin, daß eine wissenschaftliche Evaluierung von Mikrofinanzprogrammen als Mittel der Armutsbekämpfung nach wie vor nicht vorliegt. Daher die Sorge, daß Mikrofinanz-Projekte in Zeiten schrumpfender Hilfsbudgets auf Kosten von Programmen gehen könnten, die tatsächlich den Ärmsten nutzen.

Vor dem jüngsten Microcredit-Gipfel Ende Juni in Abidjan (Cote d’Ivoire) forderte etwa der Gründer der Grameen Bank, Mohammad Yunus, den Anteil der Mikrofinanzierungsmittel an der gesamten internationalen Hilfe von derzeit 1% auf 5% oder jährlich 2,5 Milliarden US-Dollar anzuheben. Der schlechte Zugang zu Kredit ist jedoch nur ein Armutsfaktor: Was ist mit Gesundheitsdiensten, Bildungseinrichtungen, sauberem Trinkwasser, Stromversorgung?

Yunus selbst würde diesen Einwand wahrscheinlich vom Tisch wischen. Geschenke entziehen den Armen die Initiative, und „Menschen wachsen durch Herausforderungen, nicht durch Linderungsmittel“, so sein Credo. Schließlich hat die Grameen Bank praktisch gezeigt, daß sich sogar eine dem staatlichen Gesundheitssystem überlegene regionale Versorgung selbstfinanzierend organisieren läßt. Und daß dies auch im Bereich der Telekommunikation funktionieren kann, versucht er gerade mit Grameen Telecom unter Beweis zu stellen. Mikrokredit sei ein Sieg des Pragmatismus über die Ideologie, hieß es in der Erklärung des Microcredit Summit von 1997. Ganz ohne Glauben geht es offenbar doch nicht.

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