Kleiner Einkauf, große Wirkung?

Von David Ransom · · 2000/05

Die globale Konsumgesellschaft ist in zwei Hälften gespalten. Fairer Handel kann den tiefen Graben der Ungerechtigkeit zwischen Erzeugern und Verbrauchern überbrücken, meint New Internationalist Redakteur

Die Liberalisierung des Welthandels mag ihre Vorteile haben, Fairness ist jedenfalls keiner davon. Das hat einen einfachen Grund: Das „Schreckgespenst“ Globalisierung wird nicht von einer eigenständigen, geheimnisvollen Macht gesteuert. Golbalisierung ist vielmehr Folge des weltweiten Wegfalls von Handelsbeschränkungen, oder, anders ausgedrückt, der Aufgabe jeglicher demokratischer Kontrolle.

Die multinationalen Konzerne, seelenlose Gebilde, die für sich Menschenrechte und Unsterblichkeit gleichzeitig beanspruchen, fordern eine völlige Freigabe des Welthandels. Sie kontrollieren ja ohnehin bereits zwei Drittel davon – und den Großteil der Regierungen, von denen sie erwarten, dass sie uns kontrollieren.

Auf den ersten Blick erscheint es einleuchtend, dass große Unternehmen billig bei den Produzenten einkaufen und teuer an die Konsumenten verkaufen, wenn sie Gewinne erzielen und ihren Aktionären eine Dividende garantieren wollen. Doch 80 Prozent der weltweiten Ressourcen werden von den reichsten 20 Prozent der Weltbevölkerung, die vornehmlich im Norden leben, verbraucht.

Auf der anderen Seite wird ein wachsender Anteil dieser Resourcen von 80 Prozent der Bevölkerung erzeugt, die großteils im Süden leben. Die KonsumentInnen sind die Könige und die ProduzentInnen die Lohnsklaven – das ist das Wesen des „Konsum-Kapitalismus“.

In der modernen Konsumgesellschaft, wo Marken und Labels das Wichtigste überhaupt sind, ist alles in zwei Hälften geteilt: Angebot und Nachfrage, Erzeuger und Verbraucher. In Wahrheit ist aber niemand nur das eine oder das andere, jeder erfüllt immer beide Funktionen, und noch einige dazu. Wir haben nur dieses eine Leben auf diesem einen, immer enger werdenden Planeten. Wollen wir eines Tages in Frieden leben mit uns selbst, mit dem Planeten und all den anderen, dann muss die in zwei Hälften gespaltene Konsumgesellschaft wieder zu einer Einheit werden.

Wie aber lässt sich das verwirklichen? Blutige Revolutionen, als Schildkröte verkleidet im strömenden Regen zu demonstrieren, sich aus dem eigenen Garten selbst zu versorgen, einen Protestbrief an die lokalen Politiker zu schreiben – sind nicht jedermanns Sache. Was dann? Einkaufen! Im Supermarkt Ausschau zu halten nach Produkten mit Fairhandels-Etiketten, bereit zu sein, dafür ein bisschen mehr Geld auszugeben, kann schon eine Menge bewirken.

Die Akteure im Fairen Handel haben andere Ansprüche. Und die sind zum Teil sehr unterschiedlich. Manche glauben, dass traditionelle Produkte, etwa

Kunsthandwerk, die zu einem angemessenen Preis in den Entwicklungsländern hergestellt und über alternative Handelsorganisationen (ATOs) im Norden verkauft werden, den „Ausschluss“ von den herkömmlichen Handelsstrukturen überwinden können. Andere wiederum sind davon überzeugt, dass der Verkauf von Dritte-Welt-Produkten, wie Kaffee, Schokolade oder Tee, nicht nur eine Verbesserung für die ErzeugerInnen bringt, sondern auch die herrschenden Handelsbeziehungen verändert. Wieder andere sind der Auffassung, dass am meisten Menschen profitieren, wenn Großkonzerne soziale Verantwortung übernehmen und sich zu Verhaltenscodes verpflichten. Darüber hinaus existieren noch verschiedene Kombinationen aus allen drei Standpunkten.

Und alle haben, das ist unvermeidlich, einen Haken. Für einige der alternativen Handelsorganisationen ist der karitative Beigeschmack einer stetig schrumpfenden Marktnische bereits zu einem Problem geworden. Bei den Kennzeichnung von Produkten aus fairen Handel müssen oftmals unheilige Allianzen mit den großen Diskontketten eingegangen werden. Manche sind überhaupt der Meinung, dass es uns ohne Welthandel besser ginge.

Soziale Verantwortung erscheint manchmal als eine Art freiwilliges Extra. Mit schlechtem Beispiel gingen hier Levi’s als Pioniere voran. Seit 1982 hat der Konzern in den USA mehr als 30.000 größtenteils gewerkschaftlich organisierte Angestellte entlassen und seine Fabrikationsstätten systematisch in Billiglohn-Länder der Dritten Welt ausgelagert. In Großbritannien hat Marks & Spencer neuerdings eine ähnliche Politik eingeschlagen.

International gibt es ca. 2.000 Firmen, die sich als sozialverantwortlich bezeichnen – von Ben & Jerry’s Eissalon bis zum britischen Kosmetikunternehmen Body Shop liegt ihr weltweiter Umsatz insgesamt bei knapp zwei Milliarden US-Dollar, das entspricht einem Hundertstel Prozent des Gesamtumsatzes aller 80 – 100 Millionen Unternehmen weltweit.

Was ist überhaupt fair und wer entscheidet das? Ist es einer Chiquita-Banane gegenüber nicht unfair, wenn direkt neben ihr im Obstregal eine Banane aus Fairem Handel angeboten wird? Ist es das Nonplusultra des Fairen Handels, wenn fair gehandelter Nescafé im sozial gerecht geführten Billa erhältlich ist? Der Himmel allein weiß es.

Nichtsdestotrotz bleibt es für die Betroffenen ein Anliegen, dass solche Fragen überhaupt gestellt werden – und dank des Fairen Handels werden sie es. Die meisten seiner AkteurInnen sind sich der Kompromisse auch voll und ganz bewusst, die das Überleben im und gegen den Markt mit sich bringt. Alle Pioniere drohen sich zu verirren, ehe sie ihr Ziel erreichen.

Der Faire Handel hat mittlerweile gesetztes Erwachsenenalter erreicht. In Holland und Deutschland beträgt der Anteil des fair gehandelten Kaffees mittlerweile zwei Prozent des Kaffee-Gesamtumsatzes. Europaweit gibt es ca. 45.000 Verkaufsstellen von fair gehandelten Produkten. Der jährliche Umsatz aller ATOs weltweit übersteigt die 200 Millionen- Dollar-Marke.

Dass der Faire Handel funktioniert und eine echte Alternative darstellt, ist eine Tatsache. Tausende Menschen in den Ländern der Dritten Welt, die ansonsten in weitaus ärmeren Verhältnissen leben und arbeiten würden, haben bereits davon profitiert. Jeder von uns kann durch den Kauf von fair gehandelten Produkten täglich dazu beitragen.

Die Frage bleibt: warum nur zwei Prozent des Kaffeeumsatzes, warum Solidarität nur mit einem Bruchteil der 20 Millionen Menschen, die weltweit vom Kaffeeanbau leben? Ehe eine faires Handelssystem nicht für alle Betroffenen gilt, ist es nicht gerecht, und solange kann niemand zufrieden sein. Hier braucht es einen politischen Gesinnungswandel.

Die meisten Produkte des Fairen Handels sind immer noch traditionelle Güter, die von Kleinbäuerinnen oder Handwerkern erzeugt werden. Zum Teil bestimmen sie selbst, was sie herstellen bzw. verfügen über das Land, das sie bebauen – eine wesentliche Voraussetzung für den Fairen Handel. ATOs im Norden können – und sie tun es auch – Partnerschaften eingehen. Die International Federation for Alternative Trade (IFAT) wird ausschließlich von ihren Mitgliedern kontrolliert, von denen wiederum die Mehrheit Produzentenvertreter aus der Dritten Welt sind.

Der Großteil der ProduzentInnen aus dem Süden fristet ein Dasein als Lohnsklaven auf Plantagen oder in Fabriken bei der Herstellung von Kartoffelchips oder Computerchips, die im Norden konsumiert werden.

„Fairness“ ist für sie an Gesundheit geknüpft – oder an eine Arbeiterbewegung als Teil der Zivilgesellschaft im Süden – unabhängig vom Staat und unerlässlich für die Entwicklung von Demokratie. Fairer Handel und Internationale Arbeiterbewegung werden sich schlussendlich zusammentun müssen.

Wenn nicht, wird es gefährlich. In Seattle wurden die Umwelt- und Sozialklauseln von der Opposition zurückgezogen – um die Geschlossenheit nicht zu gefährden, und auch aus der Überlegung, dass die Welthandelsorganisation (WTO) ohnehin schon genug Schaden angerichtet hat – was völlig richtig ist.

Diese Bereiche aber nur den Kräften der westlichen, freien Marktwirtschaft zu überlassen, kann ebenfalls nicht die Lösung sein. Wenn in Zukunft die Forderungen der Arbeiterbewegung aus dem Süden in der WTO nicht deutlicher wahrgenommen werden, so wird auch die Opposition dort ohne eigentliches Mandat bleiben.

Die ILO gehört zum UN-System und ist demnach zahnlos. Die WTO hingegen ist vom UN-System unabhängig und verfügt über einen abschreckenden Katalog an Handelssanktionen, um jede Abweichung von der offiziellen Linie zu bestrafen. Dies kann alle öffentlichen Dienste treffen, etwa Gesundheit, Bildung oder Transport. Und sie ist scheinbar demokratisch, da sie praktisch von allen Regierungen der Welt – im Norden wie im Süden -, getragen wird.

In Seattle jedoch haben sich die reichen Länder ins Hinterzimmer zurückgezogen, um dort in aller Ruhe ihre Interessen auszuverhandeln. Die Kräfte des Marktes haben wieder einmal die Oberhand behalten. Eine schlagkräftige World Fair Trade Organisation innerhalb der UNO einzurichten, die sich der betroffenen Weltbevölkerung gegenüber und nicht den ohnehin wohlgenährten Multis verantwortlich fühlt, das wäre das Gebot der Stunde.

Der freie Handel ist die Lebensader des Konsum-Kapitalismus und der Faire Handel im weitesten Sinn ist eine gute Waffe, ein zusätzliches Bindeglied in einem dynamischen neuen Netzwerk, das seit dem Weltgipfel 1992 wächst und jetzt seinen Platz in der Bresche einnehmen muss, die es in Seattle für sich geschlagen hat.

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