Krimis unter Palmen

Von Rudi Lindorfer · · 2000/07

Rechtzeitig zur Urlaubszeit Tipps vom Buchhändler unseres Vertrauens, was Sie in Ihre Büchertasche packen könnten.

Zu den Vorfreuden der Urlaubenden gehört meistens auch das Lesen: „Endlich hab‘ ich einmal Zeit zum Lesen!“ Bei Reisenden, die sich mittels irgendeines fremdgetriebenen Verkehrsmittels von A nach B begeben, fällt der Umfang der Reiselektüre nicht ins Gewicht, insbesondere dann, wenn auch der Transfer geregelt ist. Da sitzt man dann zum Beispiel in einem kleinen Dorf auf einer griechischen Insel im Liegestuhl, durch ein Strohdach vor der sengenden Sonne geschützt, neben sich einen eisgekühlten Fruchtsaft. Es ist Vormittag. Nachdem man einen Blick auf den idyllischen Strand geworfen und ein Vormittagsschläfchen verworfen hat, greift man zum Buch – und schläft nach ein paar Zeilen quasi intellektuell ein.

Der Glückliche hält ein Buch aus der (neuen) Reihe „metro“ des Schweizer Unionsverlages in Händen. Da werden selbst ungeübte LeserInnen hellwach! Es handelt sich um spannende Kriminalromane mit hohem, aber nicht moralisierendem oder gutmenschlichem, sozialem Engagement. Und die machen sogar Leute wie mich, die kaum Krimis gelesen haben (von Henning Mankells Romanen abgesehen) süchtig nach mehr – nach mehr (Kopf-)Reisen auf der Reise.

Denn in der Wirklichkeit möchte ich nicht in Los Angeles South Central auf die Suche nach dem Ex-Häftling Socrates gehen. Und selbst wenn mir jemand eine Reise in das Städtchen Chukchi in Alaska schenkte – ich würde dankend ablehnen. Und in Bangkoks Community (= nette Umschreibung für den Klong-Toey-Slum) würde ich keinen Fuß setzen, ebenso wenig in die Hauptstadt eines afrikanischen Staates, in dem gerade Wahlkampf ist oder in das ummauerte Stadtviertel Kowloon Hongkongs. Marseille ist mir nach der Lektüre von „Total Cheops“ nicht sympathischer geworden – in Sachen AusländerInnenhetze ist mir Wien schon zuwider genug. Bei „Donna und der Fettsack“ war mir der Fettsack zu gewaltätig, Donna zu wenig feminisitisch, doch gerade in diesem Roman zeigt sich das Leben ungeschminkt: das Spiel um die Macht und ihre Ausübung (der Fettsack) und die Suche (Donna) nach einem kleinen Stück Wohlergehen um jeden Preis. Die Folgen sind unbarmherzig. Mir war die Geschichte zu brutal. Dennoch warte ich gierig, wie andere LeserInnen auch, auf die Übersetzung der Folgebände der Krimi-Reihe.

Eine Warnung muss ich allerdings anfügen: Es könnte sein, dass „metro“ Ihren Blick auf Hintergründe schärft und Ihr idyllisches Bild von Ihrem Urlaubsdomizil einige Sprünge bekommt.

Eine der schönsten Kopfreisen ist gerade rechtzeitig vor der Urlaubszeit als Taschenbuch erschienen: Pauline Melvilles „Der Bauchredner“. Der Bauchredner, das ist kein geringerer als die teuflische Gottheit Macunaíma, die (auch) im Regenwald Guyanas sein Unwesen treibt und in diesem großartigen Roman die Rolle des Erzählers übernimmt. Nach einem Prolog, in dem Macunaíma die LeserInnen sprachlich in seinen Bann zieht, entlässt er sie dann in eine wunderbare Erzählung über eine dramatische Liebe, die durch die rationale, puritanische Wertewelt der „weißen Eroberer“ (und die erobern und beuten bis heute aus) zerstört wird.

Über fünfzig Jahre später, in unseren Tagen, lässt er die Literaturstudentin Rosa diese Liebesgeschichte neu entdecken und sie dem Charme und der irrationale Magie Guyanas verfallen. Und er wäre nicht Macunaíma, berichtete er nicht vom Leben seiner Indios. Dabei kann er es sich nicht verkneifen, einen Missionar dem Wahnsinn preiszugeben.

Schlussendlich zu empfehlen „Ich der Allmächtige“ von Augusto Roa Bastos. Ein Buch, das ich in meine Urlaubsbüchertasche packe, dem ich (sogar noch vor der Lektüre!) viele LeserInnen wünsche. Thema ist der intellektuelle Diktator (als Vorbild diente Dr. Francia, der Staatsgründer von Paraguay), der das ein für alle Mal Richtige für Staat, Gesellschaft und Familie will. Er ist der allseits Gebildete, voller Verehrung für die Aufklärung und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Er ist der diktierende und zugleich reflektierende – auch der Leiden und tiefen Demütigungen – Tyrann Lateinamerikas. Der kubanische Schriftsteller Alejo Carpentier nannte diesen Roman „ein Meisterwerk der lateinamerikanischen Literatur“ und das ist mir Empfehlung genug.

Beti, Mongo: Sonne Liebe Tod

Unionsverlag, Zürich 2000, 253 Seiten, öS 123,-

Zam ist Journalist und er liebt die Wahrheit, den Whisky und Bébčte. Doch Zam hat eine Pechsträhne: Seine Sammlung von Jazz-CDs wird geklaut, in seiner Wohnung liegt eine Leiche und seine Geliebte wird entführt: Wahlkampf in einem afrikanischen Land (Kamerun).

Jones, Stan: Weißer Himmel Schwarzes Eis

Unionsverlag, Zürich 2000, 250 Seiten, öS 123,-

In Chukchi, einem kleinen Städtchen im Norden häufen sich die Selbstmorde. Der State Trooper Nathan Active, selbst Inupiaq, glaubt nicht an das Gerede über einen alten Schamanenfluch und geht der Sache nach…

Moore, Christopher G.: Haus der Geister

Unionsverlag, Zürich 2000, 314 Seiten, öS 145,-

Ein US-amerikanischer Privatdetektiv ist in Bangkok gestrandet und mit Hilfe seinem Freund Pratt, dem thailändischen Polizeioffizier, mischt er die Unter- und Halbwelt auf, die im Schutz eines heiligen Schreins ihre schmutzigen Geschäfte macht.

Izzo, Jean-Claude: Total Cheops

Unionsverlag, Zürich 2000, 251 Seiten, öS 123,-

Fabio Montale ist Polizist in Marseille – und auf dem Abstellgleis, denn er redet zu oft mit Sozialarbeitern und den Kids aus Nordafrika. Als sein Jugendfreund tot aufgefunden wird, muss er daher auf eigene Faust seine Untersuchungen durchführen…

Mosley, Walter: Socrates in Watts.

Unionsverlag, Zürich 2000, 250 Seiten, öS 123,-

Nach der Entlassung aus der Strafanstalt, in der er wegen Mordes gesessen hat, versucht Socrates ausgerechnet in South Central, Los Angeles, wieder ein ordentlicher Mensch zu werden. Inmitten von Gewalt, Betrug, Armut und Verbrechen ist er wie sein Namensvetter immer auf der Suche nach einer Wahrheit…

Zahavi, Helen: Donna und der Fettsack

Unionsverlag, Zürich 2000, 250 Seiten, öS 123,-

In einer Stadt in England trifft Donna auf den Kredithai Henry. Die beiden verbeißen sich ineinander, doch in diesem Zweikampf kann es nur einen Sieger geben…

Melville, Pauline: Der Bauchredner

Knaur, München 2000, 432 Seiten, öS 131,-

Roa Bastos, Augusto: Ich der Allmächtige

Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000, 560 Seiten, öS 423,-

Rudi Lindorfer ist Buchhändler von Südwind/Buchwelt in Wien

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