Lauernde Schuldenfallen

Von Robert Poth · · 2003/11

Die öffentliche Verschuldung der meisten Entwicklungsländer ist unter gegebenen Umständen nicht tragbar, wie eine Analyse des Internationalen Währungsfonds zeigt.

Die Auslandsschulden vieler armer, vor allem afrikanischer Entwicklungsländer sind unbezahlbar. Diese Tatsache wurde mit der HIPC-Entschuldungsinitiative anerkannt und beantwortet – allerdings zu spät und zu zaghaft, wie unabhängige ExpertInnen ständig nachweisen. Aber ist die öffentliche Verschuldung von Schwellen- und Entwicklungsländern inklusive Inlandsschulden vielleicht ebenfalls zu hoch? Diese Frage stellt sich der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem „World Economic Outlook 2003“. Die Antwort ist ein eindeutiges Ja.
Auf den ersten Blick fällt bloß auf, dass die Verschuldung des öffentlichen Sektors in den reichen Ländern seit Mitte der 90er Jahre sinkt, während sie in allen anderen Regionen außer in Zentral- und Osteuropa zunimmt (siehe Grafik). Heute ist sie in den Schwellenländern, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), höher als im Norden – vor allem eine Folge der Asienkrise und des Argentinien-Kollaps. Diese Differenz an sich sagt jedoch wenig aus. Ausschlaggebend ist vielmehr die Fähigkeit, diese Schulden auch zu bedienen.

Eine Überschuldung des öffentlichen Sektors liegt laut IWF-Analyse dann vor, wenn die aktuelle Schuldenlast höher ist als der jetzige Wert der erwarteten zukünftigen Primärüberschüsse (Budgetüberschüsse vor Schuldendienst). Um Richtwerte für die tragbare Schuldenlast zu ermitteln, werden die bisher erzielten Primärüberschüsse und Wachstumsraten sowie die Realzinsen (inkl. Risikoprämien) in die Zukunft fortgeschrieben. Das frappierende Ergebnis: Während dieser Richtwert bei einem typischen reichen Land bei 75% des BIP liegt, beträgt er in einem typischen Schwellenland bloß 25%! In Lateinamerika liegt die Verschuldung um das 2,5-fache, in anderen Regionen bis um das Sechsfache über diesem Wert. Die heutige Schuldenlast ist also nur tragbar, wenn in Zukunft die Zinsen wesentlich niedriger und/oder die Wachstumsraten und Primärüberschüsse deutlich höher sind als heute. Ändert sich nichts, ist der nächste Kollaps à la Argentinien vorprogrammiert.

Die geringere Verschuldungsfähigkeit in Schwellenländern ist strukturell bedingt. Die Einnahmenquote (Anteil der Staatseinnahmen am BIP) ist mit durchschnittlich 27% weit niedriger als in reichen Ländern (im Schnitt 44%; in Österreich ca. 50%), die Zinslasten sind dagegen mit 5% des BIP (und 17% der Staatsausgaben) fast doppelt so hoch wie im Norden. Außerdem ist die Einnahmenquote stärkeren Schwankungen unterworfen, etwa aufgrund sinkender Rohstoffpreise. Die Regierung eines Landes mit einer Einnahmenquote von 20% (etwa Argentinien), einem hohen Länderrisiko (Realzinsen 10% über den Wachstumsraten) und einer Schwankung der Einnahmenquote von 10% sollte sich am besten überhaupt nicht verschulden. Denn selbst um Schulden von bloß 40% des BIP verlässlich bedienen zu können, müsste sie fähig sein, die Primärausgaben um 8% des BIP, also um die Hälfte zu kürzen – ein völlig irreales Unterfangen.
Unter gegebenen Umständen ist also der öffentliche Sektor in einem Großteil der Entwicklungsländer überschuldet und auch unfähig, in Rezessionszeiten durch erhöhte Ausgaben gegenzusteuern, ohne Alarm auf den Finanzmärkten auszulösen. Dabei ist die Vorsorge für so genannte „Eventualverbindlichkeiten“, etwa eine Rekapitalisierung des Bankensystems, noch gar nicht berücksichtigt. Letztere kostete etwa in Indonesien mehr als 50% des BIP.

Diese gleichsam „amtliche“ Einsicht müsste Konsequenzen haben – jedenfalls auf die HIPC-Initiative, die bisher bloß die Auslandsschulden und ihr Verhältnis zu den Exporteinnahmen betrachtet. So gilt etwa die Verschuldung Kenias offiziell als „tragbar“, obwohl Nairobi (laut Jubilee Research) allein für die Bedienung der Inlandsschulden 13% der Budgetausgaben aufwendet. Anzeichen einer Bewegung sind hier noch nicht zu erkennen – wohl deshalb, weil die Gläubiger der HIPC-Länder Regierungen der reichen Länder, die Weltbank und der IWF sind, die sich weitere Kosten ersparen wollen.
Ein neuer Realismus scheint aber im Fall Argentiniens Platz zu greifen, dessen Schuldenlast durch die Peso-Abwertung auf 150% des BIP eskalierte. Ende September bewilligte der IWF dem Land einen neuen Kreditrahmen von 12,5 Mrd. US-Dollar, obwohl Buenos Aires nur drei von vier dafür nötigen Kriterien erfüllte. Und kurz danach bot Argentinien privaten Gläubigern eine Rückzahlung von bloß 25% des Nennwerts auf Schuldtitel von mehr als 90 Mrd. Dollar an. Enttäuschend für die hauptbetroffenen KleinanlegerInnen in Europa, aber offenbar notwendig. Sie – und die EntscheidungsträgerInnen in den reichen Ländern – sollten vielleicht die IWF-Analyse lesen.

www.imf.org/external/pubs/ft/weo/2003/02/pdf/ chapter3.pdf

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