Leviathan, entfesselt

Von Robert Poth · · 2002/04

Der 11. September hat eine notwendige Bedingung für eine weltweite Ausübung der militärischen Macht der USA geschaffen: Die Unterstützung der eigenen Bevölkerung.

Seit dem Ende des Kalten Kriegs sind die USA die einzige Weltmacht und genießen beinahe unumschränkte militärische Überlegenheit. Doch sie könnte „impotent“ bleiben, wenn ihre weltpolitische Strategie intern nicht unterstützt wird, warnte Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater unter Präsident Jimmy Carter, in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ (1997). Die Anschläge vom 11. September haben nun die nötige „äußere Herausforderung“ (Brzezinski) geliefert, und die Zustimmung der US-Bevölkerung zum „Krieg gegen den Terror“ ist beinahe lückenlos. Der deutsche Politologe Ekkehart Krippendorf beschrieb dies Mitte Februar mit den Worten: „Der Mehltau des Totalitarismus liegt über den Vereinigten Staaten“.

Was die USA vorhaben, erklärte US-Präsident George Bush jun. in seiner Rede zur Lage der Nation Ende Jänner: „Alle Nationen sollten zur Kenntnis nehmen: Amerika wird alles Nötige tun, um Amerika oder unsere Verbündeten vor plötzlichen Angriffen zu schützen“. Damit reklamierte er ein weltweites militärisches Interventionsrecht der USA, überall dort, wo ihre Sicherheit gefährdet sein könnte – eine Rückkehr zu den Zeiten der Kanonenboot-Diplomatie des britischen Empire. Ein UN-Mandat dafür gibt es nicht, auch wenn zuletzt der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem ZEIT-Gespräch Anfang März das Gegenteil behauptet – übrigens unwidersprochen, was die derzeitige Lage in Deutschland illustriert. Denn der Afghanistan-Krieg wurde zwar unter Berufung auf das Recht zur Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta angekündigt, aber ohne Ermächtigung fortgesetzt und ausgeweitet.

Damit ist der Höhepunkt einer Entwicklung erreicht, die mit dem Ende des Kalten Kriegs begann: Das systematische Unterlaufen des in der UN-Charta verankerten Verbots eines Angriffskriegs. Bereits im zweiten Golfkrieg 1991 wurde der UNO-Sicherheitsrat nach seiner Ermächtigung zur militärischen Intervention nach Art. 42 UN-Charta vom weiteren Geschehen ausgeschlossen, was der damalige UN-Generalsekretär Perez de Cuellar als „dunkle Stunde für die Vereinten Nationen“ beschrieb. Im Rahmen der Kosovo-Intervention 1999 wurde der UN-Sicherheitsrat überhaupt umgangen – mit Unterstützung der NATO-Partner in Europa, die das Bombardement des Kosovo und Serbiens als humanitäre Intervention zum Schutz der albanischen Bevölkerung legitimierten. Schließlich sieht das neue NATO-Statut von 1999 auch „Krisenmanagement“ ohne UN-Mandat außerhalb des NATO-Gebiets vor, und es geht nicht mehr bloß um „Verteidigung“, sondern um „Wahrnehmung von Interessen“.

Am 20. Februar gab Washington zudem bekannt, dass in Hinkunft auch bei Entführungen privater US-BürgerInnen im Ausland mit dem Einsatz von US-Spezialeinheiten zu rechnen ist; Mitte Dezember wurde ein Dekret aufgehoben, mit dem Präsident Gerald Ford 1976 der CIA untersagt hatte, ausländische PolitikerInnen zu ermorden. Und nicht nur der zukünftige Internationale Strafgerichtshof ist für die USA inakzeptabel, auch das humanitäre Völkerrecht wird in Frage gestellt. Der US-Botschafter für Kriegsverbrecherangelegenheiten, Pierre-Richard Prosper, forderte eine Anpassung der Genfer Konventionen an die neuen Erfordernisse des „Kriegs gegen den Terror“, eine Reaktion auf die Kritik an der Behandlung der im US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba gefangen gehaltenen Taliban- und Al-Qaida-Mitglieder. Wenigstens steht den USA das erste Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen (zum Schutz der Zivilbevölkerung in internationalen Konflikten) nicht im Wege – das wurde erst gar nicht ratifiziert.

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