Mahnerin des Weltgewissens

Von Julius und Ilse Hanak · · 2003/06

Die Friedens- und „Dritte-Welt“-Bewegung trauert um Dorothee Sölle (1929-2003).

Dorothee Sölle ist am Sonntag, den 27.April, mitten in einem von ihr gehaltenen Seminar der Evangelischen Akademie Bad Boll gestorben. Sie hat sehr klar die Ungerechtigkeit in der heutigen Welt erkannt, die krassen Unterschiede des Lebens im Norden und im Süden in harten Worten angeprangert. Sie hat sich nicht gescheut, die Schuldigen in den reichen Ländern und unter den Christen deutlich zu nennen.
Sölle ist auch eine Mitbegründerin der ökofeministischen Bewegung. Ihre schonungslose Kritik hat ihr aber nicht nur Freunde beschert.
Wer war diese starke, nach außen zerbrechlich erscheinende Frau mit der tiefen Stimme? Die geborene Kölnerin studierte klassische Philologie und Philosophie, Germanistik und Theologie, war nach ihrer Promotion zunächst Lehrerin, später Professorin der Germanistik in Köln. Von 1972-84 lehrte sie am Union Theological Seminary in New York nach Paul Tillich, dem „Religiösen Sozialisten“; in Deutschland wurde ihr nie ein Lehrstuhl übertragen.
Sie trat jedoch ihr Leben lang als freie Schriftstellerin und Referentin hervor, besonders auf Großveranstaltungen wie dem Deutschen Evangelischen Kirchentag alle zwei Jahre.
Etwa 50 Bücher – gut 30 sind heute noch am Markt – und ungezählte Aufsätze, Briefe und Predigten sind Zeugnisse ihres Kampfes gegen Militarismus, Rüstungswahnsinn („Aufrüstung tötet auch ohne Krieg“), Unterdrückung und die ungerechten Strukturen der Weltwirtschaft, besonders des Welthandels.
1968 gestaltet sie zum ersten Mal mit Freunden und mit ihrem Mann Fulbert Steffenski, einem Theologen und Benediktinermönch, der 1969 evangelisch wird, ein „Politisches Nachtgebet“, in dem sie sich zur Einheit von Spiritualität und politischem Handeln bekennt. Es wird nicht nur zum Urmodell ihres eigenen Lebensentwurfes von Mystik und Widerstand, von ora et labora ihrer Art, sondern findet bis zum heutigen Tag unzählige Nachahmungen, Wiederholungen und Neugestaltungen unter solidarisch engagierten ChristInnen, denen sie zum Ansporn wird.

Theologie hat für Dorothee Sölle immer mit der konkreten Situation zu tun, in der Menschen leben, leiden, hungern und gefoltert werden. „Gott geschieht in dem, was zwischen Menschen geschieht“. Die „Erdung ihres Himmels“ holte sie sich durch Reisen zu den Brennpunkten menschlichen Ringens und Leidens. 1972 reist sie nach Nordvietnam. Zeitlebens beobachtet sie die Lunte an den Pulverfässern der „Kriege niedriger Intensität“.
500 Jahre nach Kolumbus bricht sie zu einer anderen Entdeckung Amerikas auf. Sie sucht Gott in der Tiefe, in der Entäußerung, und findet „Gott im Müll“ – so heißt ihr Bericht von 1992. Sie widmet das Buch ihrer Tochter Caroline, die in Carabuco am Titicaca-See in Bolivien nahe der riesigen Zinkmine als Ärztin arbeitet.
Besonders in ihrem Beitrag zu den Salzburger Robert-Jungk-Memorial-Lectures von 1996 wendet sie sich gegen die zerstörerischen Formen der Globalisierung, gegen den rücksichtslosen Geldvermehrungswahn im Neoliberalismus. In den fortschreitenden Auseinandersetzungen um diese Konflikte wird uns ihre mahnende und wegweisende Stimme fehlen.

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