Mauricio Rosencof: Die Briefe, die nicht ankamen

Von Theo Bruns · · 2004/06

Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Edition Köln, Köln 2004, 128 Seiten, mit Abb., EUR 13,90

Nicht zufällig führt die Biografie Mauricio Rosencofs, die im Jahr 2000 in Uruguay erschien und zum bestverkauften Sachbuch des Jahres avancierte, im Titel einen Plural: „Las vidas de Rosencof“. Zu vielfältig ist die Lebensgeschichte dieses Mannes, als dass sie auf einen Begriff gebracht werden könnte. Als Sohn einer polnisch-jüdischen Einwandererfamilie wird er 1933 in einer Kleinstadt Uruguays geboren. Der Vater Isaak ist Mitglied der Schneidergewerkschaft. Unter seinem politischen Einfluss wird Mauricio Redakteur der kommunistischen Parteizeitschrift El Popular. Parallel schreibt er die ersten Theaterstücke und wird binnen kurzem zu einem der bekanntesten Dramatiker des Landes. Später wird er zum politischen Verantwortlichen der Stadtguerrilla MLN-Tupamaros. Im Jahr 1972 wird Rosencof verhaftet, die Guerrilla militärisch zerschlagen; wenig später putschen die Militärs. Zusammen mit acht weiteren Gefangenen der MLN wird er elfeinhalb Jahre in unterirdischen, nur zwei Quadratmeter großen Zellen in Kasernen des Landes buchstäblich lebendig begraben.
Im Alter von fast siebzig Jahren wendet sich Rosencof, mittlerweile einer der anerkanntesten Schriftsteller des Landes, nun den Spuren seiner Kindheit und dem Schicksal seiner Verwandten zu, die bis auf eine überlebende Schwester des Vaters Opfer des Holocaust wurden. In miteinander verwobenen Erinnerungssträngen lässt er die Welt seiner Kindheit wieder auferstehen und leiht den in Polen zurückgebliebenen Verwandten in Briefen, die nicht ankamen – so der Titel des neuen Buches – die Stimme. Die Ghettoisierung der jüdischen Einwohner von Belzice, einer Kleinstadt in der Nähe von Lublin, ihr Leid und ihre Deportation in die Vernichtungslager erstehen in beklemmender Weise vor unseren Augen.
Das Buch ist ein Schreiben gegen das Vergessen, eine bewegende Liebeserklärung Mauricio Rosencofs an seine Eltern und Ausdruck seiner unverbrüchlichen Verbundenheit mit den Verwandten, die ermordet wurden und deren Spuren für immer getilgt werden sollten.

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