Wie der neue argentinische Präsident mit einem radikalen Rezept das Land umkrempeln will.
„Wirf alles auf den Grill“, heißt es am Río de la Plata, wenn es ums Ganze geht. Und das macht Javier Milei. Die beiden Filetstücke des neuen Präsidenten Argentiniens: die schwarze Null im Staatshaushalt und die Senkung der Inflation.
Bei seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2023 kündigte Milei harte Monate mit einen enormen Anstieg der Inflation an. Unmittelbar danach ordnete der libertäre, also freiheitliche Politiker die Abwertung des Pesos um 55 Prozent gegenüber dem Dollar und das Auslaufen sämtlicher Preisregulierungsvereinbarungen an. Außerdem halbierte er die Zahl der 18 Ministerien auf neun und strich alle öffentlichen Investitions- und Bauprojekte. Das sei notwendig, um das Haushaltsdefizit zu reduzieren und die Inflation langfristig zu senken, so Milei.
Neoliberales Dekret und Megagesetz
Am 20. Dezember erließ er ein 86-seitiges Dekret. Unter anderem wird das Arbeitsrecht geändert: u.a. werden Entlassungen erleichtert und Abfertigungen gekürzt. Staatliche Unternehmen sollen in Aktiengesellschaften umgewandelt und privatisiert werden. Der Erwerb von Land wird für ausländische Investor:innen erleichtert.
Am 27. Dezember legte Milei dem Kongress einen Megagesetzesentwurf vor. Er umfasst 664 Artikel und sieht neben umfangreichen Privatisierungs-, Wirtschafts-, Wahl-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen eine tiefgehende Umstrukturierung der staatlichen Verwaltung vor. Und das Gesetz würde es dem Präsidenten ermöglichen bis zum Ende seiner vierjährigen Amtszeit mit Sondervollmachten regieren zu können.
Dekret und Megagesetz unterscheiden sich darin, ob der Kongress den Maßnahmen, Deregulierungen oder Reformen zustimmen muss oder nicht. Die von Milei dekretierten Anordnungen traten bereits wenige Tage nach der Unterzeichnung in Kraft und bleiben es so lange, bis beide Kammern des Kongresses mehrheitlich dagegen gestimmt haben. Allerdings kann die Justiz nach einer Klage eine einstweilige Verfügung gegen einzelne Artikel erlassen. Im Gegensatz dazu muss der Kongress das gesamte Paket oder einzelne Teile des Megagesetzes billigen.
Bisher hat sich der Kongress nicht mit dem Dekret befasst, da sich die dafür zuständige Kommission noch nicht gebildet hat. Allerdings hat die Justiz bereits einige einstweilige Verfügungen erlassen, beispielsweise bei den Änderungen zum Arbeitsrecht. Gegenwärtig debattiert der Kongress den Megagesetzesentwurf, bei dem Milei nur auf eine kleine Minderheit von eigenen Mandatsträger:innen setzen kann. Dabei zeichnet sich eine Zustimmung zu zahlreichen Artikeln aber auch eine klare Ablehnung der Sonderbevollmächtigung des Präsidenten ab.
Rekord-Inflation statt Bremse
Mit der Peso-Abwertung und dem Ende der Preisregulierungsvereinbarungen war ein Inflationsschub erwartet worden. Alles, was importiert wird, wurde sofort teurer. Zuvor regulierte Preise, wie etwa für Benzin, zogen nach. Die jährliche Inflationsrate stieg auf 211 Prozent im Jahr 2023, den höchsten Jahreswert seit 1990.
Die von Milei im Wahlkampf versprochene Dollarisierung und Abschaffung der Zentralbank ist nicht vom Tisch. Was ihn daran hindert, ist der schlichte Mangel an der US-Währung und die enorme Menge an Pesos, die in Form von Schuldtiteln bei den Zentral- und Privatbanken lagern. Eine schnelle Annullierung dieser Schuldtitel würde einen Run auf den Dollar auslösen und das Land noch tiefer in die finanzielle Bredouille stürzen. Noch ist der Präsident damit beschäftigt, die Hinterlassenschaften seines Amtsvorgängers wegzuräumen. Ob Mileis Alles-oder-Nichts-Strategie aufgeht, wird sich zeigen.
Jürgen Vogt lebt seit 2005 in Buenos Aires und ist u. a. Korrespondent der deutschen Tageszeitung Taz.
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