Mit kritischer Sympathie betrachtet

Von Arne Opitz · · 2002/04

Kubas Sozialismus bräuchte sich gar nicht so fad und unglaubwürdig präsentieren, findet der Autor der folgenden Reportage, ein „Alt-68er“, der die Antilleninsel kürzlich zum ersten Mal besuchte.

Viele Kubanerinnen und Kubaner sind auf die monatlichen Dollarüberweisungen der gusanos, der „Würmer“, wie die in die USA emigrierten KubanerInnen verächtlich genannt werden, angewiesen. Die Wirtschaft des Landes könnte ohne diese Gelder (und die Einnahmen aus dem Tourismus) nicht überleben. Dennoch dürfte es den Máximo Lider Fidel Castro jüngst einige Überwindung gekostet haben, im Zusammenhang mit den Hurrikan-Schäden das US-Hilfsangebot einiger hunderttausend gefrorener Hendln anzunehmen. Immerhin hatte er noch vor rund sechs Monaten die US-Wirtschaftsblockade – ziemlich missglückt – als Genozid am kubanischen Volk bezeichnet.
Politisch motivierte Kuba-BesucherInnen erleben diese Ambivalenz der Zuckerinsel hautnah. Erste Impressionen nach der Ankunft im Campamento Julio Mella, 40 km von Havanna entfernt: Hunderte von BrigadistInnen (in der „Soli-Sprache“ Freiwillige, die aus Solidarität unbezahlte Arbeitseinsätze in Lateinamerika leisten; früher in Nicaragua, heute noch in Kuba; Anm.) aus fast allen Ländern Europas müssen sich mit einem heillos überbelegten Lager und äußerst bescheidenen hygienischen Verhältnissen arrangieren. Am Vormittag bei 30º Außentemperatur und extrem hoher Luftfeuchtigkeit auf der Orangenplantage Gräben ausheben, der Nachmittag ist der politischen Information vorbehalten. Die besteht beim Besuch eines Hospitals und einer Kunsthochschule überwiegend aus vorgestanzten Statements. Pseudoinformation: Endlose Erfolgsstatistiken und affirmative Formulierungen, ermüdend vorgetragen, lösen einander ab. Diskussion: Fehlanzeige. So auch beim Bericht von Ramón Gonzales Suco, Veteran der Schweinebucht-Invasion aus der Zeit Kennedys. Erst erzählt er fesselnd vom Abwehrkampf gegen den paramilitärischen Landungsversuch im US-Auftrag, Fragen nach aktuellen politischen Problemen jedoch ignoriert er oder lenkt ab.

„Glorreiche Revolution“, „Siegreiches Jahrtausend“, „Vaterland oder Tod“: Die allerorten angebrachten politischen Phrasen, Durchhalteparolen und Agitprop-Sprüche irritieren die EuropäerInnen. Warum präsentiert sich Kubas Sozialismus so gestelzt, so fad und so unglaubwürdig? Schließlich sind die schlimmsten Jahre der „Spezialperiode“ nach dem Wegfall der UdSSR-Subventionen doch inzwischen vorbei. Es war jene Zeit um 1996, als, wie sich die Altbrigadisten Ernst und Fritz erinnern, „eigentlich niemand richtig satt wurde, tagelange Strom- und Wassersperren die Normalität darstellten und Transportmöglichkeiten praktisch nicht existierten“.
Doch für die österreichische Botschafterin Helga Konrad, eine überraschend offene und sympathische Frau, die aus ihrer Sympathie für das Modell Kuba und Castro keinen Hehl macht, ist das rigide Wirtschaftsembargo der USA, das sogar US-Tochterunternehmen das Kubageschäft verbietet, nach wie vor sehr bedrohlich. Es übe auch auf die Wirtschaftspolitik von Weltbank und EU entsprechenden Druck aus.

8.00 Uhr morgens. Hunderte übermüdeter internationaler BrigadistInnen, seit Mitternacht auf den Beinen, schließen sich der Demonstration auf dem Malecón, der Uferpromenade von Havanna, an. Obwohl von einer „Marcha de los Habaneros“ (Marsch der Bevölkerung von Havanna) die Rede war, besteht das Aufgebot großteils aus LandarbeiterInnen, die seit Mitternacht aus dem Umland in die Hauptstadt gekarrt worden sind. Sind die EinwohnerInnen Havannas demo-müde?
Inzwischen rennt der Schmäh bei der österreichischen Brigade im Campamento Julio Mella schon verhaltener, und erste skeptische Töne mischen sich darunter. Enervierendes Warten und chaotische Organisation verlangen viel Geduld. Gestern schien sogar die Arbeit von zwei Wochen vergeblich, weil sich die kubanischen Fachleute uneinig über die richtige Technik waren.
Auch ein anderes täglich wiederkehrendes Ritual zerrt an den Nerven. Verdreckt und müde von der Arbeit lautet die immer gleich bange Frage „Gibt`s Wasser zum Waschen?“, denn die „Spezialperiode“ und damit Wassermangel gehören immer noch zur kubanischen Alltagsrealität. Der Solidaritätsreisende muss sich oft zur Gelassenheit zwingen, und selbst Maurizio von der italienischen Linkspartei Rifundazione kommt schon mal ein „mierda“ aus. Auch die Solidaritätsreserven von Helga, Anhängerin des Wagenseil-Flügels der PDS (orthodox-kommunistische Fraktion; Anm.), gehen sichtlich zur Neige. Ganz anders die schwedische Delegationsleiterin, für die Kuba eine Art sozialistisches Mariazell zu sein scheint. Hört sie den Namen Fidel Castro oder Che Guevara, zeigt sie jedenfalls immer ein verklärtes Lächeln.
Die BrigadistInnen bestehen aus zwei grundverschiedenen Typen: die älteren dogmatischen SozialistInnen, für die sich alles ändern muss, damit alles so bleibt, und die Jüngeren, die neue Formen suchen und mit den alten Formeln nichts anfangen können.

Vom Ziel sozialistischer Gleichheit ist Kuba weit entfernt. Das zeigt das Zerfallen der Gesellschaft in Dollar- und Nicht-Dollar-BesitzerInnen besonders schmerzhaft. Der Durchschnittslohn von ca. 250 Pesos, rund 12 Dollar, deckt gerade eben die Lebenshaltungskosten; PensionistInnen müssen mit noch weniger ihr Auslangen finden. Bedrohlich wirken die Allgegenwart von Polizei und Sicherheitskräften und die lückenlose Durchorganisiertheit dieser Kommandogesellschaft. Arbeiter, Jugendliche und Frauen sind fest im Griff staatlicher oder staatsnaher Organisationen, darunter das grätzelweise organisierte „Komitee zur Verteidigung der Revolution“. Sein Symbol: ein scharf blickendes Auge, darunter die Ermahnung „Sei wachsam“.
eckende Prostitution: Ob auf dem Malecón, am Strand von Playa del Este oder in einem Straßenlokal des Landesinneren – Mädchen, oft kaum älter als dreizehn oder vierzehn, bieten dem Dollartouristen liebenswürdig, aber unmissverständlich ihren Körper um wenige Dollar-Scheine an.

Zwischen Castros Socialismo tropical und der ehemaligen DDR sind die Parallelen nicht zu übersehen. Dennoch wäre diese Perspektive gemessen an der Gesamtsituation Lateinamerikas nicht nur unangemessen, sondern auch unhistorisch. Materiell leben die KubanerInnen unvergleichlich besser als die Bevölkerung von Bolivien, Ecuador, Guatemala oder Kolumbien, wo seit Jahrzehnten Bürgerkrieg, extreme soziale und ökonomische Unterschiede, Hunger oder zumindest Mangelernährung herrschen, wo Schulbildung ebenso fehlt wie eine funktionierende Infrastruktur.
Auf Kuba ist ein Ende der „Spezialperiode“ nicht in Sicht. Dennoch scheinen sich die KubanerInnen mit Lebensmittelkarten, einem überalteten Maschinenpark sowie zahllosen Beschränkungen und Mängeln des täglichen Lebens arrangiert zu haben. Die Menschen sind überwiegend sorgfältig gekleidet, laut und temperamentvoll, Musik ertönt allerorten, und beim ersten Merengue-, Salsa- oder Bolero-Takt verfallen Beine und Hüften in rhythmische Zuckungen. Das gilt nicht nur für die Blaue Stunde auf dem abendlichen Malecón, sondern überall und jederzeit. Vieles zeugt von Gelassenheit und sogar von Fröhlichkeit. Ist diese Fröhlichkeit echt oder einfach notwendig, um das tägliche Anstehen, die Benzinknappheit, die bescheidene Auswahl an Nahrungsmitteln, die bürokratischen Reglementierungen, die praktische Unmöglichkeit von Auslandsreisen sowie die zahllosen kleinen und größeren Mühen des Alltags zu ertragen?

Che als Messias? Jedenfalls kommt offensichtlich ein gewissermaßen pseudo-religiöses Moment hinzu, das der ausländische Besucher im Che-Guevara-Mausoleum in Santa Clara erahnen kann. Neben einer Art Ikonostase mit den Gesichtsreliefs von Che und seinen Mitstreitern hängt im Museum eine Fotografie, die das Faszinosum des Che und damit den Glauben der KubanerInnen an die Revolution sinnfällig macht. Bekleidet mit dem Kampfanzug, lächelt er in die Kamera. Die rechte Hand hält nicht nur lässig die unvermeidliche Riesenzigarre und hängt lässig nach unten genau vor das Geschlecht, am kleinen Finger baumelt zudem eine Handgranate – Zigarren-Phallus als Lebenssymbol und dicht daneben die tödliche Waffe. El Che, wie ihn die KubanerInnen ehrfürchtig nennen, als Herr über Eros und Thanatos (Tod), als Messias und Erlöser?

Arne Opitz besuchte kürzlich als Brigadist Kuba und war vorher im Bereich des „Acompańamiento“ (Flüchtlingsbegleitung) in Guatemala aktiv. Er lebt als Journalist in Wien.

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