Namibias starke Frauenstimmen

Von Gesa Wicke · · 2009/03

Seit zwei Jahrzehnten verleiht die Organisation „Sister Namibia“ Frauen und Mädchen des südafrikanischen Landes eine Stimme und hat auch in der Schwulen- und Lesbenbewegung Vorbildfunktion übernommen.

Fast könnte man es übersehen, das kleine Schild mit dem Schriftzug „Sister Namibia“ vor dem unscheinbaren grünen Gebäude im Windhoeker Stadtteil Eros. Und doch hat die Organisation Großes geleistet. Gegründet im Zuge der Unabhängigkeit Namibias 1990 hat es das feministische Projekt vermocht, im mühsamen Aufbauprozess einer postkolonialen Demokratie auch denen ein Gesicht zu verleihen, die allzu oft vergessen, isoliert, politisch nicht repräsentiert sind: Frauen.
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist enorm. In den letzten Jahren unter der Regierung der South West African People’s Organisation (SWAPO), hervorgegangen aus der ehemaligen Befreiungsbewegung, ist sie stetig gewachsen. Neben der Arbeitslosigkeit von rund 36 Prozent, der weit verbreiteten Korruption und einem dürftigen Bildungssystem ist vor allem die hohe Gewaltrate ein Problem. Immer wieder werden Frauen Opfer von Missbrauch und Vergewaltigung, sind von Armut und sozialen Problemen besonders betroffen. „Besonders ärmere Frauen sind in der namibischen Gesellschaft oft marginalisiert und von sozialen und politischen Entwicklungsprozessen weitgehend ausgeschlossen“, betont Liz Frank, langjährige Direktorin von Sister Namibia. Um dies zu ändern, konzentrierte sich die Vereinigung in den ersten Jahren auf die Herausgabe einer gleichnamigen Zeitschrift. „Damit wir möglichst viele Frauen erreichen, publizieren wir in Englisch, Afrikaans und Oshiwambo.“ Fünfmal im Jahr erscheint das Heft mit einer Auflage von 9.000 Exemplaren. Doch längst macht die Zeitschrift nur noch einen kleinen Teil des Engagements aus. Mit vier Vollzeitkräften und der Unterstützung von Praktikantinnen und Freiwilligen aus aller Welt organisieren die Frauen Workshops, Demonstrationen, Medienkampagnen und die Durchführung wissenschaftlicher Studien, um so Politik und Öffentlichkeit für Frauenrechte im heutigen Namibia zu sensibilisieren.

Meilenstein in der noch jungen Geschichte der Organisation ist die „50/50 Campaign“. Ausgehend von einer Studie Liz Franks zur politischen Beteiligung von Frauen entwickelte sich eine Kampagne , um die Frauenquote auf allen politischen Ebenen zu erhöhen. Durchgeführt wurde sie während der Parlamentswahlen von 1999 bis 2004. „Damit waren wir in Namibia sogar früher dran als die globale 50/50-Kampagne in New York von 2000“, erinnert sich Frank mit einem stolzen Lächeln. Waren 1998 nur fünf Prozent aller Mitglieder der Regionalräte Frauen, liegt der Anteil heute bei immerhin zwölf Prozent, auf lokaler Ebene bei 25 und national sogar bei 50 Prozent.
Einer der aktuellen Schwerpunkte des feministischen Projekts ist seit 2007 die „Sexual Rights Campaign“. Diese soll Frauen im ganzen Land – ungeachtet ihrer kulturellen oder sozialen Herkunft – über ihre sexuellen Rechte aufklären: Darüber, dass bestimmte kulturelle Praktiken eine grobe Verletzung eben dieser Rechte bedeuten, wie die Witwenvererbung, Initiationsriten, Polygamie oder so genannter „dry sex“, bei dem sich die Frau ihre Vagina mit einem speziellen Kräuterpulver austrocknet, um so dem Partner mehr Lust zu bereiten. Sister Namibia klärt auch über die Gefahren von HIV und Aids auf. Mit über zwanzig Prozent zählt die Infektionsrate in Namibia zu den höchsten weltweit.
„Traditionell ist Frauen über Generationen vermittelt worden, dass sie sich den Männern unterwerfen sollen. Nach ihren eigenen sexuellen Wünschen und Vorlieben hat man sie nie gefragt. Im Gegenteil, die sind bis heute tabu“, weiß Robin Baumgarten, die bei Sister Namibia für die Öffentlichkeitsarbeit sorgt. Gerade hat sie 50 Herero-Frauen zu einem einwöchigen Workshop zum Thema „Sexuelle Rechte der Frau, Kultur und HIV/Aids“ eingeladen. „Wir machen hier etwas ganz Revolutionäres“, betont Robin. „Wir sprechen über unsere Körper, über unsere Männer, Partner, Frauen, Liebhaber. Und darüber, was uns seit Kindesbeinen eingebläut wurde: ‚Gute‘ Frauen zu sein, folgsame, demütige Ehefrauen.“

So offen über diese Themen zu reden ist für viele der Frauen noch ungewohnt. Doch schon bald entfachen sich kontroverse Diskussionen. „Ich habe viel gelernt in dieser Woche“, sagt eine junge Teilnehmerin aus Otjiwarongo zum Abschluss. „Der Austausch hat mir neue Energie verliehen und mir gezeigt, dass ich mit meinen Problemen nicht alleine dastehe.“ „Ungeduldig“ nach Hause zu kommen sei sie jetzt, „um endlich den Frauen aus meiner Gemeinde davon zu berichten.“
Ihre Erfahrungen weitergeben, das sollen auch die TeilnehmerInnen des Workshops für LeiterInnen von Jugendorganisationen, bei dem es um „Feminismus und HIV“ geht. Auch Männer sind diesmal dabei, wenngleich mit skeptischer Haltung – zumindest am Anfang: „Gott hat erst den Mann erschaffen und danach die Frau. Das ist der Beweis, dass Frauen auf der Welt sind, um Männern zu dienen“, tut etwa ein lässig gestylter Sportgruppenleiter aus Windhoek sein Weltbild kund. Eine typische Haltung? Leider ja, sind sich viele der Teilnehmerinnen einig. „Und eben deshalb sind wir hier: Wir wollen Veränderung!“, lautet ihre energische Forderung. Vielleicht können Rollenspiele und Frauenkleider, in welche die Jungen schlüpfen sollen, um eine neue Sichtweise auf das andere Geschlecht zu entwickeln, zumindest einen kleinen Beitrag hierzu leisten. Fest steht jedenfalls, dass am Ende des lehrreichen Tages auch die teilnehmenden Männer zugeben müssen, „dass Feminismus nicht unafrikanisch ist“.

„Nicht unafrikanisch“ – das trifft auch auf sexuelle Orientierungen zu, selbst wenn namibische PolitikerInnen in der Vergangenheit Schwul- oder Lesbischsein immer wieder als eine von den EuropäerInnen ins Land geschleppte Plage zu charakterisieren versuchten, derer man sich schnellstmöglich entledigen müsse. So rief etwa Ex-Präsident und SWAPO-Führer Sam Nujoma, der das Land von 1990 bis 2004 mit überwältigender Mehrheit und höchst autoritär regierte, mehrfach zur „Ausrottung alles Homosexuellen“ auf, handle es sich hierbei doch um etwas „Unnatürliches, das gegen den Willen Gottes verstößt“.
Sister Namibia war 1995 die erste Nichtregierungsorganisation (NGO) Namibias, die sich öffentlich gegen solche Hetzreden äußerte. „Für uns war das Motto ‚Gleiche Rechte für Lesben‘ immer fester Bestandteil unserer Arbeit“, erklärt Liz Frank, „das ist das Innovative unserer Organisation.“ Innovation, die nicht von allen begrüßt wurde. Die damalige Frauenministerin versuchte massiv, Sister Namibia in der Frauenbewegung zu isolieren. Jahrelang war die Organisation Zielscheibe für Hasstiraden verschiedener PolitikerInnen und staatlicher Medien. „Doch fast alle NGOs landesweit haben zu uns gehalten,“ stellt Liz zufrieden fest. „Und als es mit Nujomas Verbalattacken immer schlimmer wurde, riefen plötzlich auch die schwulen Jungs bei uns an und wollten zusammenarbeiten.“ Gemeinsam mit diesen und ihrer Lebensgefährtin Elisabeth Khaxas gründete sie schließlich das „Rainbow Projekt“, die erste NGO Namibias, die sich speziell für Homosexuelle einsetzt.
Auch privat bekam die 58-Jährige deutscher Herkunft, die 1990 als Mitarbeiterin eines Anti-Apartheid-Projektes nach Namibia kam, die Konsequenzen ihres Engagements zu spüren: Mehrfach wurde ihr Antrag auf dauerhafte Aufenthaltsberechtigung abgelehnt. Mittlerweile jedoch ist die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität gestiegen, immer mehr junge Leute trauen sich in die Öffentlichkeit und sogar der Kirchenrat nimmt sich des Themas an. „Obwohl es immer noch Fälle häuslicher Gewalt beim Coming Out gibt, auch von Seiten der Polizei“, wie Liz Frank einschränkt. Und auch an der Gesetzeslage hat sich bisher nichts geändert: Sodomie, worunter das Gesetz gleichgeschlechtlichen Sex subsumiert, steht offiziell noch immer unter Strafe. So steht es im „Immorality Act“ aus Zeiten vor der Unabhängigkeit. Die äußerst liberale Gesetzgebung im Nachbarland Südafrika mit ihrer Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften hat auf Namibia nicht abgefärbt.

Stattdessen wirkt das schwere Erbe Nujomas nach: Zwar hält sich der amtierende Präsident Hifikepunye Pohamba mit Verunglimpfungen im Stile seines Vorgängers zurück. Der im Jänner von der namibischen Menschenrechtsgesellschaft NGfM vorgestellte Jahresbericht für 2008 konstatiert jedoch allgemein eine „erhebliche Verschlechterung“ der Menschenrechtslage. „Die Demokratisierung in Namibia hat nicht funktioniert“, so das düstere Fazit von NGfM-Direktor Phil ya Nangoloh. Stattdessen habe der politische Übergang vom Apartheidregime zur Unabhängigkeit zur Entstehung „einer autoritären und von der SWAPO dominierten Herrschaft“ geführt.
Und dennoch – die Frauen von Sister Namibia geben die Hoffnung nicht auf, dass aus der Vision ihrer NGO eines Tages Wirklichkeit wird und „in Namibia alle Menschenrechte für alle Menschen gelten“.

Gesa Wicke promoviert in Düsseldorf und Triest im Fach Romanistik und arbeitet als freie Journalistin. Zuletzt war sie Gastredakteurin der „Allgemeinen Zeitung“ in Windhoek.

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