Nusantara, Indonesiens Neue

Von Günter Spreitzhofer · ·
Stau in Indonesiens Hauptstadt Jakarte
Tägliche Verkehrskollaps in Jakarta: 22 Tage jährlich verbringt ein Mensch, der zeitlebens in Jakarta wohnt, durchschnittlich im Stau. Adrian Pranata/ Unsplash

Indonesiens Hauptstadt Jakarta geht langsam unter. Deswegen steht ein Umzug des Regierungssitzes von Java nach Borneo bevor, und der Neubau einer Metropole.

Nusantara soll die neue Hauptstadt Indonesiens heißen, wie Entwicklungsminister Suharso Monoarfa kürzlich bekannt gab. Der Name ist ein alt-javanisches Wort, das im heutigen Indonesisch oft als Synonym für den indonesischen Archipel verwendet wird, über den sich der größte Inselstaat der Welt erstreckt.

Nusantara soll in der Provinz Kalimantan im Südosten der Insel Borneo entstehen. Kalimantan umfasst rund drei Viertel der Fläche Borneos und beheimatet derzeit etwa 20 Millionen Menschen. Sie leben vom Holzexport, von Palmölplantagen und Kautschukproduktion. Noch gilt die Provinz als Peripherie, auch auf politischer Ebene. Das soll sich ändern. Die Pläne der indonesischen Regierung, eine neue Hauptstadt auf Kalimantan zu errichten, waren seit 2019 bekannt. Anfang dieses Jahres wurden auch die gesetzlichen Grundlagen dafür vom Parlament bestätigt.

Karte Indonesiens
Ca. 2.000 Kilometer liegen zwischen der derzeitigen Hauptstadt Jakarta und der zukünftigen Hauptstadt Nusantara. © Uwe Dedering/CC BY-SA 3.0

Inselwelten
Die aktuelle Hauptstadt Jakarta liegt auf der zentral gelegenen Insel Java. Sie ist etwa eineinhalb Mal so groß wie Österreich, hat eine Bevölkerung von 150 Millionen und eine Bevölkerungsdichte von 1.100 Einwohner*innen pro Quadratkilometer. Die Metropolregion Jakarta zählt etwa 35 Millionen Menschen und gilt als einer der größten Ballungsräume der Erde.

Die Provinz Kalimantan wiederum, wo Nusantara geplant ist, befindet sich auf Borneo – die drittgrößte Insel der Welt. Hier leben derzeit 20 Millionen Menschen. Borneos Fläche von 750.000 km2 ist neunmal größer als Österreich und auf drei Staaten aufgeteilt: Brunei Darussalam, Malaysia und Indonesien.

Jakarta geht unter

Der Umzug tut Not, denn die bisherige Hauptstadt Jakarta versinkt zusehends. Mittlerweile kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen, weil 40 Prozent der Hauptstadt unter dem Meeresspiegel liegen. Bis 2050 könnte laut Expert*innen das gesamte Gebiet von Nord-Jakarta überflutet sein. Hauptursache dafür ist vor allem das exzessive Abpumpen von Grundwasser für industrielle Zwecke, womit – begünstigt durch das Gewicht der Bauwerke – die Stadt buchstäblich versinkt: je nach Lage bis zu 20 cm jährlich, unregelmäßig intensiv, aber stetig.

Hinzu kommen eine hohe Luftverschmutzung und der tägliche Verkehrskollaps: Statistisch 22 Tage jährlich verbringt ein Mensch, der ständig in Jakarta wohnt, durchschnittlich im Stau. Aus den Außenbezirken pendeln über drei Millionen Menschen täglich in die Innenstadt.

Investoren gesucht

Indonesien braucht dringend wirtschaftliche Anreize, um sich von den pandemiebedingten Wirtschaftseinbrüchen der vergangenen zwei Jahre zu erholen. Umgerechnet rund 29 Milliarden Euro sind für die Errichtung der neuen Hauptstadt insgesamt eingeplant. Knapp ein Fünftel soll dabei aus dem Staatshaushalt bezahlt werden, der Rest von staatlichen Unternehmen und ausländischen Investoren. Einer der wichtigsten, die in Tokio ansässige Softbank Group, hat sich allerdings Mitte April überraschend aus dem Projekt verabschiedet. Nun muss die Regierung Ersatz finden.

Angst vor Vertreibungen

Und nach wie vor kritisieren Umweltschützer*innen und Menschenrechtsaktivist*innen das Neubauprojekt in Kalimantan. Noch steht im Distrikt Sepaku, wo sich bald die neue Hauptstadt befinden soll, vor allem dichter Wald. Bloß die ersten 6.000 Hektar sind bereits gerodet.

Das indonesische Online-Magazin Benar News berichtet von der Sorge der Einwohner*innen, aus dem Gebiet vertrieben zu werden. Denn: Eigentumsrechte an Grund und Boden können die wenigsten Menschen dort vorweisen. Deren traditionelle subsistenzwirtschaftliche Lebensform, die auf Wanderhackbau basiert, weist großen Flächenbedarf auf und ist ohnedies durch zunehmende Rodungen für sogenannte Cash Crops wie Palmöl und Kautschuk bedroht.

Jubein Jafar, ein Führer der Dayak, wie man die nichtmuslimische, indigene Bevölkerung auf Borneo nennt, fürchtet wie viele andere der 36.000 Einwohner*innen von Sepaku um die traditionelle Lebensweise und sagt: „Ich habe Angst, dass wir einfach so vertrieben werden, dass die Regierung uns sagt, wir sollen einfach umziehen und irgendwo anders anbauen.“ Er hofft zumindest auf finanzielle Entschädigung sowie fruchtbares Land in anderen Gebieten. Vonseiten der Regierung liegen noch keine konkreten Angebote für die Einwohner*innen der betroffenen Region vor.

Umzug nach Plan?

2024 sollen eigentlich die ersten Behörden umziehen, kurz vor dem turnusmäßigen Ende der zweiten und damit letzten nach der Verfassung möglichen Amtszeit von Präsident Joko Widodo. Ein Zehnjahresplan sieht vor, dass die Regierungsgeschäfte ab 2034 komplett aus Nusantara geführt werden. Es soll sich im Endausbau über mehr als 250.000 Hektar erstrecken, wovon laut den Plänen 20 Prozent bebaut werden sollen und der Rest aus Naturschutzgebieten, Farmland und Wald bestehen wird. Inwieweit das unter der Wahrung von Land- sowie Menschenrechten gelingt, wird die Zukunft zeigen.

Günter Spreitzhofer ist Geograf, Publizist und Reisender. Er hatte zahlreiche Lehraufträge am Institut für Geographie und Regionalforschung (Universität Wien), seine Schwerpunkte sind Asien & Afrika.

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