„Privatisierung unseres Lebens“

Von Redaktion · · 2008/03

Für den US-Anwalt Michael Ratner befinden sich die USA – und zunehmend auch die europäischen Länder – auf dem Weg zum völligen Überwachungsstaat. Die privaten Sicherheitsfirmen sind ein wesentliches Element bei dieser Entwicklung. Mit dem Anwalt, Buchautor und Universitätsprofessor sprach für den Südwind Heike Wipperfürth.

Südwind: Welche Aufgaben übernehmen die privaten Sicherheitsfirmen in den Vereinigten Staaten?
Michael Ratner:
Sie sind uns vor allem als Privatpolizisten und Schutztruppen aufgefallen. Besonders offensichtlich wurde das nach der Verwüstung von New Orleans durch Hurrikan Katrina. Normalerweise werden Polizeitruppen oder Einheiten der örtlichen Nationalgarde in ein Krisengebiet geschickt, um Plünderungen und Verbrechen zu verhindern. Das Heimatschutzministerium, das für die innere Sicherheit zuständig ist, entschied anders: Es hat private Sicherheitsfirmen mit der heiklen Aufgabe betreut. Zudem hat es eine Firma mit übler Reputation wegen übermäßiger Gewaltanwendung eingestellt: Blackwater.

Viele Menschen waren entsetzt, als sie von der Rolle Blackwaters in New Orleans erfuhren.
Die Blackwater-Angestellten wurden ja nie als Polizisten ausgebildet. Polizisten haben gelernt, wann sie jemanden festnehmen oder Gewalt ausüben dürfen. Blackwater aber arbeitet unter dem Motto: Erst schießen, dann Fragen stellen.

Sind private Sicherheitsfirmen auch als Datensammler und Überwacher tätig?
Ich kann nachts nicht schlafen, wenn ich an die massive Überwachung eines großen Teils unserer Bevölkerung denke – und daran, dass wir nichts über die Informationen herauskriegen, die gegen uns benutzt werden können. Wenn es aber zu Massendemonstrationen gegen den Krieg im Irak oder etwas Ähnlichem kommt, dann könnten private Sicherheitsleute und Polizisten, die von ihnen ausgebildet wurden, vielen Menschen in unserem Land ernsthaft schaden.

Was kann man dagegen tun?
Das Problem ist: Private Überwacher müssen keine Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen. Bei der Polizei und beim FBI ist das anders. Da kann ich nachfragen, ob sie Daten und Informationen über mich gesammelt haben. Sie sind laut Freedom of Information Law, dem Informationsfreiheitsgesetz, dazu verpflichtet, mir Auskunft zu geben. Eine private Firma braucht das nicht zu tun. Es gibt kein Gesetz, das sie dazu zwingt, mir die Unterlagen über mich zu geben. Sie wirft meinen Antrag einfach in den Papierkorb. Wenn das FBI mir meine Unterlagen nicht geben will, kann ich einen Richter um Hilfe bitten. Bei einer Privatfirma geht das nicht.
Michael Ratner ist einer der führenden Menschenrechtler der Vereinigten Staaten. Er leitet das Center for Constitutional Rights in New York, das die Sicherheitsfirma Blackwater im Namen der Angehörigen der 17 Iraker, die am 16. September 2007 in Bagdad erschossen wurden, wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen verklagt. Im Dezember erhielt Ratner den mit 100.000 Dollar dotierten Nation/Puffin-Preis für seinen lebenslangen Einsatz für soziale Gerechtigkeit.
Welche Auswirkungen befürchten Sie?
Nehmen wir an, ich bin Aktivist in einer Antikriegsgruppe. Diese Aktivität ist vor der Einmischung des Staates geschützt. Ist sie vor der Einmischung privater Sicherheitsfirmen geschützt? Nein, das ist sie nicht. Eine private Sicherheitsfirma könnte sich vornehmen, alle Antikriegsprotestler der USA zu erfassen. Und wer weiß, vielleicht gibt sie die Daten weiter an den Staat. Wie sollen wir das herausbekommen? Es gibt kein Gesetz, auf das wir uns berufen können. Das Grundgesetz hat weite Maschen, durch die Privatfirmen schlüpfen können.

Wie erklären Sie sich, dass sich Ihre Landsleute diesen Angriff auf ihre Grundrechte einfach gefallen lassen?
Die Regierung und die Unternehmen können sich das erlauben, weil die Menschen seit dem 11. September Angst vor dem Terror haben. Sie glauben, dass sie jetzt sicherer sind, weil es diese privaten Sicherheitsfirmen gibt.

Ihrer Meinung nach ein gefährlicher Trugschluss?
Was in den Vereinigten Staaten – und zunehmend auch in Europa – geschieht, ist die Privatisierung vieler Aspekte unseres Lebens. Sie sehen: Sogar die Polizei und die Überwachung werden privatisiert. Das ist gefährlich. Was passiert mit der öffentlichen Verantwortung, wenn etwas privatisiert wird? Was ist mit dem Gesetzgeber, der Gesetze verabschiedet und überwacht? Was ist mit den Polizisten, die von privaten Sicherheitsleuten ausgebildet werden, die – geht man vom Gewaltmonopol des Staates aus – im Grunde genommen zwielichtige Gestalten sind?

An der Grenze zu Mexiko bauen private Sicherheitsfirmen gerade eine 9.600 Kilometer lange virtuelle Mauer. Fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger der USA dadurch sicherer?
Die Frage ist: Warum werden Millionen verschwendet, um so etwas zu bauen? Zum Teil dient es einigen Unternehmen zur Bereicherung. Es ist aber auch ein Gemisch aus Kraftprotzerei und High Tech. Ich glaube, mit dem Abfangen illegaler Einwanderer an der Grenze hat der Bau der Mauer nichts zu tun. In diesem Jahr kommen sicher so viele illegale Einwanderer ins Land wie im letzten und im nächsten Jahr.

Wundert Sie die Vehemenz, mit der die Überwachung der Menschen in den Vereinigten Staaten forciert wird?
Ich glaube, all diese Überwachungskameras und Demonstrationen der Macht sind eine massive Überreaktion auf den Angriff vom 11. September. Ja, wir müssen Ermittlungen gegen Kriminelle führen, ja, wir müssen den nächsten Terrorangriff verhindern, bevor es zu spät ist. Aber ist die massive Überwachung eines ganzen Landes wirklich der beste Weg, um das zu schaffen? Ich glaube, sie bewirkt eher das Gegenteil.

Heike Wipperfürth lebt in New York und arbeitet als freischaffende Journalistin für deutsch- und englischsprachige Zeitschriften und Rundfunkanstalten.

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