Raubzüge in fremden Gewässern

Von Francisco J. Marí · · 2012/11

Die Weltmeere sind fast leergefischt. Die EU ringt gerade um eine neue Fischereipolitik. Dabei wird viel zu wenig berücksichtigt, was die EU-Fischereiflotte in den Gewässern von Entwicklungsländern, zum Beispiel vor Westafrika, treibt.

Im Juli 2012 hat die Welternährungsorganisation FAO den neuen Bericht zum Zustand der Weltmeere herausgegeben. Er schreibt die seit Jahren bekannte dramatische Situation in den meisten Fanggebieten fort, auch wenn für einige wenige Fischbestände eine leichte Besserung festgestellt wird. 30% der Fischbestände sind vollkommen überfischt, 57% stehen kurz davor. Die Anzahl der noch halbwegs intakten Bestände ist auf 13% zurückgegangen. Dazu kommen geschätzte weitere 20 bis 30% illegalen, unregistrierten Fangs und große Mengen von Rückwürfen oder Beifang der Industrietrawler.

Zu dieser Überfischung trägt seit den 1980er Jahren auch die Europäische Union bei. Damals brachen wichtige Fischbestände wie der Kabeljau zusammen und man suchte reiche Fischgründe außerhalb der EU-Gewässer. Die nahe westafrikanische Küste bot genau das. Diese waren allerdings nach der Erweiterung der nationalen Wirtschaftszonen auf 200 Seemeilen nicht mehr gratis zu plündern. Deswegen schloss die EU mit einigen afrikanischen Staaten Verträge zu Spottpreisen ab, die europäischen Trawlern vor Afrikas Küsten Fangrechte geben. Aber nicht nur dort, sondern weltweit gehören die Fischgründe in Entwicklungsländern, so bestätigt der FAO-Bericht, zu den am stärksten überfischten. Dies ist eine dramatische Situation, weil Fisch nicht nur ein wichtiges Exportgut für arme Länder darstellt. Fischfang und vor allem die Fischverarbeitung geben fast 500 Millionen Menschen zumindest zum Teil ein Einkommen. Fast noch wichtiger ist die Tatsache, dass Fisch für eine Milliarde Menschen die Hauptproteinquelle darstellt.

Auch wenn der „Fisch der Armen“, Sardellen, Stücker und Anchoven, selten auf unseren Tellern landet, zerstört die industrielle Fischerei diese wichtige Nahrungsquelle. Auf ihrer Jagd nach den teuren Edelfischarten wie Hecht, Barsch und vor allem Thunfisch vernichtet sie nutzlos die Bestände: durch hohe Beifangmengen, zum Beispiel von Tintenfisch, und durch Fangmethoden, die Jungfische in den Aufzuchtgebieten töten. Überdies werden diese Arten auch direkt gefangen und noch an Bord zu Fischmehl und Fischöl für die Landwirtschaft und Aquakultur der Industrieländer verarbeitet.

Dafür, dass die EU-Flotte in fremden Gewässern fischen kann, zahlen EU-BürgerInnen 160 Millionen Euro pro Jahr an die Küstenländer. Aber auch wenn Staaten wie Senegal auf Druck ihrer Kleinfischer das Fischereiabkommen nicht verlängern, gibt die EU-Hochseeflotte, die zu 70% unter spanischer Flagge fährt, nicht auf. Die Schiffe kommen wieder, indem so genannte Gemeinschaftsunternehmen gegründet werden, die offiziell unter Leitung von Senegalesen stehen. In Wirklichkeit sind es dieselben Schiffe, die vorher in Senegal die Überfischung der Edelfischarten verschuldet haben, nun aber eine senegalesische Flagge besitzen und als „einheimische“ Boote weiter fischen dürfen und den Fang nach Spanien exportieren.

Aber auch Länder, die noch nie mit Europa ein Fischerei-Abkommen hatten, etwa Ghana, werden nicht verschont. Dabei hatte Ghana selbst eine von der ehemaligen Sowjetunion aufgebaute große Thunfischflotte. Auflagen der Weltbank im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme seit den 1980er Jahren und der Verlust der Fanggründe in Nachbarländern durch EU-Konkurrenz führten zum Abwracken von 90% der großen Fangboote. Heute nehmen sie in Tema, dem größten Hafen von Ghana, Platz weg und rosten vor sich hin.

Die neue EU-Fischereipolitik

Im EU-Parlament liegen über viertausend Änderungsanträge zum EU-Fischereigesetz vor. Das ist für die nächsten zehn Jahre die vielleicht letzte Chance, den Fang von Wildfisch für Europa in und außerhalb der EU zu regeln. Viele dieser Vorschläge, die entwicklungspolitische Auswirkungen betreffen, würden wirklich eine Umkehr des alten Fangmottos europäischer Schiffe „zahlen, fangen, mitnehmen“ bedeuten.

Einzelne ParlamentarierInnen wollen die Schiffseigner zwingen, ihre Kapazitäten abzubauen und nachhaltiger zu fischen. Es wird gefordert, dass zukünftig der handwerklichen Fischerei in Entwicklungsländern ein vorrangiger Zugang zu den Fischbeständen zugestanden wird. Bei allen EU-Fangaktivitäten soll zunächst hinterfragt werden, ob sie das Recht auf Nahrung der Menschen an den Küsten nicht verletzen und damit unterbleiben müssen. Dies würde den Hauptforderungen von Entwicklungsorganisationen und ihrer Partner, den Verbänden der Kleinfischerei in Westafrika, entsprechen. Wichtig ist, dass ParlamentarierInnen in allen Fraktionen aus Ländern wie zum Beispiel Österreich, Tschechien, Ungarn oder Deutschland, die kaum Interessen in der Hochseefischerei haben, gemeinsam vorgehen.
  F. M.

Mit mehrfach kopierten Einzellizenzen einer korrupten Fischereiverwaltung versorgt, kreuzen heute mangels einer effizienten Überwachung Dutzende von Hochseeschiffen aller Flaggen und Größen in den ghanaischen Gewässern herum. Da gibt es unter anderem europäische „Gelegenheitsboote“, die nach legalem Fang in Nachbarländern noch Platz haben für zusätzliche Mengen und noch ein paar Tage illegal in ghanaischen Gewässern dranhängen. Aber auch koreanische und chinesische Trawler ohne oder mit Billigflagge, die nach wenigen teuren Exemplaren seltener Thunfischarten jagen und dabei das Hundertfache an totem Beifang ins Meer zurückwerfen.

Senegal: Auf Druck der Kleinfischer wurde der Vertrag mit der EU nicht verlängert.

Andere kleinere Boote dringen nachts in die den Kleinfischern vorbehaltenen Zwölf-Meilen-Zonen und pflügen mit sogenannten Zwillingsbooten den Meeresboden auf. Niemand weiß genau, wie viel Speisefisch dem Land durch den illegalen Fang verloren geht. Aber jeder Kleinfischer spürt die Folgen der industriellen Fischerei. Der ghanaische handwerkliche Fischfang steht vor dem Kollaps (siehe Bericht auf Seite 14).

Seit nunmehr zwei Jahren wird Europas künftige Fischereipolitik diskutiert. Die „externe Dimension“ – wie die EU-Flotte in Zukunft auf den Weltmeeren ihren Fang regeln soll – wird im vorgestellten Gesetzesvorschlag allerdings nur wenig aufgegriffen. Angebliche juristische Schwierigkeiten dienen als Vorwand dafür, keine Verpflichtungen zum Schutz der Fischbestände und der Lebensverhältnisse von Kleinfischern in Entwicklungsländern einzugehen.

Dies verwundert, stellte die EU selbst im bereits 2009 veröffentlichten Grünbuch fest, dass „weiter so“ nicht möglich sei und die bisherige EU-Fischereipolitik es nicht geschafft habe, in den Partnerländern zur Abschaffung von Hunger oder zur Reduzierung von Armut beizutragen. Im Mittelpunkt des Gesetzespaketes steht die Zukunft der europäischen Meere, deren Küsten sowie der europäischen Fischindustrie, nicht der Fischfang außerhalb der EU. Meeresanrainer mit noch existierender Hochseeflotte, besonders am Mittelmeer, wollen vor allem die Arbeitsplätze in der Fischerei erhalten. Den mittel- oder nordeuropäischen Ländern geht es vor allem um den Erhalt der Meeresressource „Fisch“ als beliebte Nahrung. Binnenstaaten und osteuropäische Länder fragen sich vor allem, warum die EU so viel Geld für den Erhalt einer unrentablen Fischereiflotte ausgibt.

Viel zu wenig beachtet wird die Tatsache, dass weit mehr als die Hälfte des in der EU konsumierten Fischs nicht in deren eigenen Gewässern gefangen wird. 60 Prozent stammen aus Gewässern vor den Küsten von Entwicklungsländern.

Was sind nun die Vorschläge der EU? Wie soll dafür gesorgt werden, dass von den ca. 1.200 mit EU-Flaggen oder EU-Kapital auf den Weltmeeren fahrenden Industrieschiffen keine Überfischung ausgeht und die handwerkliche Fischerei in Entwicklungsländern überleben kann?

Es gibt Vorschläge, die in die richtige Richtung gehen. Zum Beispiel die Verpflichtung für alle Fangboote, an denen Europäer als Unternehmen oder Anteilseigner Interessen haben, in allen Weltmeeren nur nach den Regeln der zu beschließenden EU-Fischereigesetzgebung zu fischen. Also auch die in der EU in Zukunft geltenden Bestimmungen zu beachten: etwa Nachhaltigkeitsvorgaben wie die Verhinderung von Überfischung von Beständen, ein Rückwurfverbot und viele andere.

Aber nicht einmal in Europa greifen die vielen, schon vor Jahren erlassenen Bestimmungen zum Abbau der großen Überkapazitäten. Besonders die südlichen EU-Mitglieder stehen unter enormem Druck ihrer wichtigen Fischereiindustrien. Erst recht jetzt in Euro-Krisenzeiten. Die EU-Fangquoten werden wie auf einem Basar ausgehandelt, statt sich an die Empfehlungen der Wissenschaft zu halten. Die Verpflichtung, Schiffe stillzulegen, weil die Meere überfischt sind, wird nur von Deutschland und den skandinavischen Ländern eingehalten.

Wenn das alles in Europa kaum klappt, wie will man die EU-Hochseeflotte reduzieren, die mit enormen Subventionen der EU aufgebaut wurde? Es wurden Abwrackprämien für Schiffe kassiert und dieselben Boote in Scheinfirmen überführt. Unter Flaggen von Belize oder Mongolei wird weitergefischt. Dabei gibt es für die Hochseeflotte, besonders für die riesigen deutsch-niederländischen Fabrikschiffe, keine Fischschwärme mehr, für die sich solche Fangboote rentabel einsetzen lassen. Die Überkapazität in der externen Dimension wird in den Vorschlägen der EU-Kommission mit keinem Wort erwähnt. In Zukunft sollen für diese Fangboote nur noch dann Verträge ausgehandelt und bezahlt werden, wenn wissenschaftliche Belege vorhanden sind, dass es in den Gewässern der Partnerländer überhaupt überschüssige Fischbestände gibt, die von dem Land nicht selbst befischt werden können. Eigentlich nichts Neues und schon lange völkerrechtlich verbindlich.

Die EU ist nicht der einzige und wahrscheinlich auch nicht der schlimmste Akteur auf den Weltmeeren. Die Fangflotten asiatischer Länder wie Korea, China und Japan plündern teilweise weitaus zerstörerischer die letzten Fischbestände der Welt. Europa ist jedoch der größte Fischmarkt der Welt, ein Großteil der illegalen Fänge wird bei uns verkauft. Daher fordern Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, dass die EU auch dann Verantwortung für die Weltmeere übernimmt, wenn sie ihre Flotte reduziert.

Francisco J. Marí ist Referent für Agrarhandel und Fischerei für die Organisation Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst in Berlin.

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