Reise nach Nicaragua

Von Ralf Leonhard · ·
Buchcover zu Inside Nicaragua

„Inside Nicaragua“ heißt ein neues Buch über das Nicaragua vor 2018. Eine Rezension einer Zeitreise.

2013/2014 verbrachte Rafaela Mazal einen einjährigen Aufenthalt in Nicaragua als freiwillige Sprachlehrerin im Auftrag des Österreichischen Akademischen Austauschdienstes. Sie unterrichtete an der Autonomen Universität von León, der zweitgrößten Stadt des Landes. In ihrem Buch „Inside Nicaragua“ teilt sie die Erfahrungen, die sie während dieser Zeit und bei weiteren Besuchen im Land bis 2018 gemacht hatte.

Es war die Zeit vor dem Volksaufstand, den Präsident Daniel Ortega blutig niederschlagen hat lassen. Im Buch können Leser*innen, die sich schon mit dem Land auseinandergesetzt haben, zwischen den Zeilen schon immer wieder die bleierne Schwere des alle Bereiche des Lebens reglementierenden und kontrollierenden Regimes herauslesen.

Zum Beispiel, als Mazal von ihrer Bekanntschaft mit dem Präsidenten und seiner Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo schreibt. Nicht persönlich, sondern in Gestalt eines Plakats, das an ihrer Zimmertür im Wohngebäude auf dem Campus klebt. Als sie es Wochen später entfernt, trifft sie die Wut der dort residierenden „Parteifrau, die der Autorin androht, sie aus dem Land werfen zu lassen. Die regierende FSLN hat überall im Land ihre Vertrauensleute, die über das politische Wohlverhalten der Bevölkerung wachen.

Herzerfrischende bis kuriose Erlebnisse
Wochen später steht die Autorin für die Visaverlängerung vor dem Migrationsschalter in Managua und erlebt die zermürbenden Schikanen des Beamtentums, das erst nach endlosen Diskussionen und dem Beibringen sinnloser Bescheinigungen ihren Pass aushändigt. Ob ihr politisches Fehlverhalten schuld war oder man Bestechungsgeld erwartet hat, bleibt unklar.

Die von der „Parteifrau“ überwachten Regeln im Wohnheim auf dem Campus erinnern die Autorin an ein Teenager-Camp, obwohl ausschließlich Erwachsene dort untergebracht sind. Es gelingt ihr und ihrem ausländischen Freundeskreis auf der Uni allerdings immer wieder, die Regeln zu unterwandern und Spaß zu haben. Abseits der beklemmenden Begegnungen mit Repräsentant*innen des Regimes hat Mazal auch jede Menge herzerfrischende und kuriose Erlebnisse. Mit den Augen einer weltoffenen jungen Frau erzählt die Sprachlehrerin von sympathischen bis seltsamen Eigenheiten der Menschen, die sie im Laufe der Zeit getroffen hat.

Hintergründe und Sozialkritik
Die Lehrtätigkeit lässt reichlich Freizeit, in der die Autorin das Strandleben kennenlernt, einen Vulkan erklimmt, die karibische Insel Corn Island und das Vulkaneiland Ometepe im Nicaraguasee bereist. Mazal recherchiert auch Hintergründe und Geschichten zu Bräuchen, die sie beobachtete.

So machte sie zum Beispiel Bekanntschaft mit dem Mann, der mit einer Insektizidpumpe von Haus zu Haus geht, um die Gelege der Gelsen, die das Dengue-Fieber übertragen, auszurotten. Dabei hüllte er alles in eine Wolke süßlich riechenden Gifts.

Sozialkritik spricht aus dem Kapitel über die „Insel der Witwen“, einer Ortschaft unweit der Zuckerstadt Chichigalpa, wo die Hinterbliebenen der Zuckerrohrarbeiter leben, die ihre Nieren durch Wassermangel und wohl auch Pestizide ruiniert haben – und von denen viele daran starben.

Man erfährt viel über Nicaragua, das meiste im Plauderton flott erzählt. Die Leser*innen können teilhaben an der Freude, mit der diese junge Frau das Erleben der fremden Welt genießt.

Dennoch: bei der Ankunft in München fällt auch Stress von ihr ab: „Endlich in Europa, endlich nicht mehr dieser Willkür ausgeliefert. Alles wirkt so sauber, geordnet und ruhig“ und „Niemand will mir etwas Böses. Hier gibt es Menschenrechte. Und saubere Toiletten“.

Inzwischen ist Nicaragua unter Ortega zu einer Diktatur geworden, wo Oppositionelle, Journalist*innen, Bauernführer und Leute, die sich öffentlich kritisch äußern, willkürlich eingesperrt werden. Ein Vorwort, das auf die Ereignisse seit den Erlebnissen der Autorin eingeht, wäre wünschenswert.

Rafaela Mazal: Inside Nicaragua (Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021, 320 Seiten, ca. 21 €)

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