Stadt und Land an einem Tisch

Von Tobias Asmuth · · 2021/Jul-Aug
Saatgutretter: Hansalim-Mitglied Ahn Sang-hee denkt an künftige Generationen. © Jun Michael Park / laif / picturedesk.com

Hansalim gilt als eine der weltweit größten Genossenschaften für landwirtschaftliche Bio-Produkte. Ein Lokalaugenschein im südkoreanischen Bezirk Goesan, wo in den 1980er Jahren alles begonnen hat.

Während der Proteste der 1980er Jahre gegen die Diktatur von Chun Doo-hwan wendeten sich die Bäuerinnen und Bauern von Goesan im Zentrum der Republik Korea (Südkorea) das erste Mal an die Städter*innen: „Rettet euren Esstisch! Rettet uns Bauern!“ 1986 gründeten sie die Genossenschaft Hansalim für landwirtschaftliche Bioprodukte, die als eine der größten der Welt gilt. 2.400 Betriebe und rund 650.000 Konsument*innen sind Mitglieder bei Hansalim, übersetzt: „Bewahre alles Lebendige“.

Bündnis Stadt-Land. Heute sind in der Region Goesan 250 landwirtschaftliche Betriebe Mitglied bei Hansalim, auch der Hof des 67-jährigen Kyung Gong-ho.

Kyung ist überzeugt, dass die Bäuerinnen und Bauern zuallererst für eine gesunde Ernährung zu sorgen und die Konsument*innen das Leben der Bauernschaft zu sichern hätten: „Hansalim ist ein Schutzschild. Die Gegenwart ist gnadenlos zu Bauern, die nicht nur Profit machen wollen.“ Doch die Zeit stehe nicht still und die Lage sei komplizierter geworden. Die Geschwindigkeit des Wachstums von Hansalim auf Seite der Konsument*innen habe nachgelassen in den vergangenen Jahren. Es gebe mehr Konkurrenz durch andere Anbieter ökologischer Lebensmittel, was ja eigentlich gut sei, aber für die Genossenschaft auch Herausforderungen bedeuten würde.

Bauernhöfe und Fabriken. Hansalim umfasst nicht nur Bauernhöfe, sondern auch verarbeitende Betriebe für Soja, Reis oder Getreide. In Goesan ist das beispielsweise die Multigrain Farming Cooperation. In der Fabrik wird Getreide getrocknet, gereinigt, gelagert, verpackt und in die Städte geschickt.

An den Fabriken von Hansalim sind in der Regel Produzent*innen und Konsument*innen gemeinsam beteiligt. Da ihr Betrieb nicht gewinnorientiert ist, werden Überschüsse wieder investiert, zum Beispiel in neue Maschinen. Über die Investitionen entscheidet ein gemeinsamer Beirat. „Auf dem freien Markt gehen zwischen 30 und 50 Prozent des Preises in die Verarbeitung, den Vertrieb und die Werbung“, sagt Kyung, „bei uns sind es nur fünf bis sieben Prozent.“

Rasches Wachstum 

Hansalim wurde 1986 im Bezirk Goesan gegründet. Die beiden wichtigsten Prinzipien der Genossenschaft lauten: Solidarität zwischen Stadt und Land und Schutz der Umwelt.  Hansalim wuchs schnell, vor allem auf Seite der Konsument*innen: 1995 waren es 10.000, aktuell sind es 644.000. Für sie produzieren 2.400 landwirtschaftliche Betriebe in ganz Südkorea. Die Produkte werden in eigenen Geschäften verkauft. 2015 eröffnete Hansalim ein eigenes Analysezentrum zur Lebensmittelsicherheit.  Hansalim setzt sich in Kampagnen für gesunde Ernährung und für ökologische Landwirtschaft ein und engagiert sich für soziale Belange in Südkorea und dem Ausland.  T. A.

Saatgutrettung. Ziemlich in der Mitte des Bezirks Goesan liegt der Hof der Familie von Ahn Sang-hee. Der 70-jährige Bauer ist seit 1986 Mitglied bei Hansalim. Er hat ein Leben lang Reis angebaut und Schweine gezüchtet. Da er seinen Kindern den Hof nicht übergeben will („die würden ihn am Ende sowieso nur verkaufen“), hat er sich 2014 einen alten Traum erfüllt und eine – wie er es nennt – Samenfabrik gegründet.

Auf dem Land seiner Vorfahren soll die Zukunft Koreas wachsen. Irgendwann will er die 24.000 Quadratmeter Fläche Hansalim stiften. Die Genossenschaft unterstützt seine Initiative schon jetzt und bezahlt die Löhne für die zwei Mitarbeiter.

„Heute kommen nur noch etwa 30 Prozent des verwendeten Saatgutes aus dem Inland“, sagt Ahn, „wir müssen jetzt unsere einheimischen Samen sammeln, um sie morgen noch anbauen zu können.“

In einer auf minus 20 Grad gekühlten Kammer lagern hunderte Sorten, vor allem Reis- und Getreidesamen. Ahn bekommt sie von Bäuerinnen und Bauern aus dem ganzen Land zugeschickt. Er baut sie an, um größere Mengen Saatgut zu gewinnen, die er dann mit Hansalim-Betrieben tauscht.

Ahn führt durch die Felder, die sich an den Hang eines kleinen Berges schmiegen. Zuerst ein Feld Sesambüsche, zwischen denen der kleine Mann fast verschwindet, anschließend ein paar Reihen Schwarzbohnen, vier Reihen Erdnusssträucher, drei Reihen Hirse, einige Dattelbäume. Dann zeigt er die Gewächshäuser, in denen verschiedene Sorten Pfefferoni stehen.

Republik Korea (Südkorea) 

Hauptstadt: Seoul   

Fläche: 100.210 km2 (ca. 1,2 mal so groß wie Österreich) 

Einwohner*innen: 51,7 Millionen (2019) 

Human Development Index (HDI): Rang 23 von 189 (Österreich 18) 

BIP pro Kopf: 31.846,2 US-Dollar (2019) (Österreich: 50.121,6 US-Dollar, 2019) 

Gini-Koeffizient (Einkommensungleichheit): 31,4 (2016, Österrreich: 30,8, 2018) 

Regierungssystem: Republik mit Präsidialverfassung, Präsident ist Moon Jae-in, seit 2017.

Schließlich unterhalb des Waldes in einer kleinen Senke das Feld mit Reis, insgesamt 17 verschiedene Sorten, Ahns ganz besonderer Stolz. Neulich, erzählt er, sei im Auftrag von Hansalim eine Gruppe von Forscher*innen auf dem Feld gewesen. In nur zehn Minuten hätten sie über 30 verschiedene Arten von Insekten und Fröschen gefunden.

Neue Generation. Bei der Gründung von Hansalim war die Bevölkerung von Goesan zu 30 Prozent bäuerlich, heute sind noch drei Prozent Bäuerinnen und Bauern. Seit einiger Zeit werden es allerdings wieder mehr.

Park Ho-chul, 34, ist einer dieser neuen Bauern. Zusammen mit seiner Frau Kim Hye-sung, 35, ist er vor drei Jahren von Seoul nach Goesan gezogen. Seit ihrer Hochzeit 2013 sind sie Mitglieder von Hansalim, zuerst auf Seite der Konsument*innen.

Und sie waren auf der Suche, erzählt Park. Ihre Generation gilt als die erste in Südkorea, für die Ökologie ein wichtiges Thema ist. Und sie gilt als desillusioniert: „Nur Wirtschaft und Wettbewerb und noch mehr Wirtschaft und Wettbewerb, das macht dich leer“, sagt Kim, die in Seoul als Kindergärtnerin gearbeitet hat.

Als sie 2016 in Goesan an einem Kurs teilnahmen, der Leuten zeigte, was in einem Garten alles angepflanzt werden kann, waren sie so fasziniert, dass sie das Häusermeer Seouls gegen die grünen Hügel Goesans eintauschten. Park begann eine Ausbildung zum Landwirt. Kim verkauft Gemüse – auch das von ihrem Mann produzierte – im örtlichen Geschäft von Hansalim.

„Gemeinschaft ist eigentlich der Kern der koreanischen Landwirtschaft“, sagt Park. Darauf baue Hansalim auf und erweitere sie um die Menschen in den Städten.

Zukunft. Gibt es Grenzen für das Wachstum der Genossenschaft? Park lässt sich Zeit mit der Antwort: „Es gibt immer mehr Bauern, die Hansalim beitreten wollen. Ich kann das verstehen.“

Die Einkommensunterschiede seien auch bei Hansalim groß, „je nachdem wie viele Felder du hast“. Aber durch die Preisgarantie hätten alle ein solides Einkommen. „Aktuell bekommst du als Bauer für Gemüse 30, für Obst 50 Prozent des Verkaufspreises, bei Hansalim dagegen 73 Prozent.“

Mit anderen Bauern spreche er oft über die Zukunft. Viele seien dafür, mehr Konsument*innen zu gewinnen und dafür auch Werbung zu machen. Park findet allerdings, Hansalim solle nicht weiter wachsen. Andere Kooperativen könnten ja das Konzept kopieren. „Ich glaube, die Philosophie von Hansalim verträgt nur eine bestimmte Größe.“

Tobias Asmuth ist  freier Journalist aus Berlin. Er schreibt Reportagen aus aller Welt für deutschsprachige Magazine und Zeitungen.

Dieser Artikel ist in ähnlicher Form im Magazin Brand Eins 02/2019 erschienen.

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