Süden sucht Stoff

Von Rosalie Marktl · ·
© Pixabay/Neelam279

Die Pandemie ist eine globale Herausforderung. Doch der Impfstoff findet bisher zu selten den Weg in den Globalen Süden, vor allem wegen der Patentrechte. Der Artikel wurde am 7. Mai aktualisiert, siehe unten.

Während in Israel junge, gesunde Menschen ihre zweite Impfdosis gegen Covid-19 erhalten, ist in Ländern wie Mali, Namibia oder Papua-Neuguinea kaum ein oder noch kein einziger Nadelstich gesetzt worden.
Mehr als drei Viertel aller verfügbaren Impfstoffe befinden sich derzeit weiterhin in nur zehn Ländern. Mehr als 87 Prozent der über 700 Millionen bislang verabreichten Impfdosen entfielen laut Tedros Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, auf wohlhabendere Länder. Dabei ist der weltweite Zugang zur Impfung für den Verlauf der Pandemie entscheidend.
Lokale bzw. regionale Ausbrüche und immer neue Mutationen könnten auch immer wieder Folgen für die Menschen im Norden haben.

„Weltweite Immunisierung ist in unser aller Interesse“, betont Fatima Hassan in einem Webinar zum Thema Impfgerechtigkeit, organisiert vom Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) Mitte März. Sie ist Menschenrechtsanwältin und Gründerin der „Health Justice Initiative“ in Kapstadt.
„Je länger wir brauchen, umso mehr Mutationen des Virus und Resistenzen zum Impfstoff werden sich entwickeln“, sagt Hassan.

Einen der Gründe für die ungleiche Verteilung sieht Hassan in der Patentierung der Impfstoffe und dem derzeitigen Konflikt diesbezüglich. Dabei geht es vor allem um das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums der World Trade Organisation (WTO), das sogenannte TRIPS-Übereinkommen (Agreement on Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights).
Aktuell verfügen Pharmakonzerne über Rechte an geistigem Eigentum sowie Patentrechte, und einige wenige Hersteller kontrollieren die weltweiten Produktionskapazitäten sowie den Verkaufspreis von Covid-19-Medikamenten, -Impfstoffen, -Diagnostika und anderen Technologien.

Viele Länder des Globalen Südens haben nicht genug finanzielle Mittel, um die festgelegten Preise bezahlen zu können. Und es sind dringend größere Produktionsmengen nötig, um eine weltweite Versorgung so zeitnah wie möglich bereitzustellen.
Menschenrechtsanwältin Hassan skizziert einen Weg, der die Situation verändern würde: „Wir müssen die Impfung als öffentliches Gut behandeln und die Produktionszahlen erhöhen. Wir alle sind Miteigentümer dieses Impfstoffs und haben mit Steuergeld zu dessen Entwicklung beigetragen“, betont Hassan.

Industriestaaten blockieren. Im Oktober 2020 brachten Südafrika und Indien gemeinsam bei der WTO einen ersten Antrag zur partiellen Aufhebung bestimmter Regelungen des TRIPS-Übereinkommens ein, den sogenannten TRIPS-Waiver, um für die Dauer der Pandemie Patente und andere geistige Eigentumsrechte im Zusammenhang mit den betreffenden Produkten aussetzen zu können. Durch diese Lockerung wäre es Generika- oder anderen Pharmaherstellern möglich, mehr Impfstoffe herzustellen als es die Patenteigentümer derzeit können.
Staaten, die derzeit auf Importe angewiesen sind, könnten dadurch selbst zu Herstellern werden.

Die WHO spricht sich für den TRIPS-Waiver aus. Auch insgesamt über 100 Mitgliedsstaaten der WTO – vor allem sogenannte Entwicklungs- und Schwellenländer – unterstützten den Vorstoß von Südafrika und Indien. Doch vor allem westliche Industrieländer wie die USA, Australien, Japan und der Großteil der EU-Staaten stimmten gegen den Antrag und verhinderten somit die Aufhebung der strikten Patentrechte.

Westliche Länder argumentieren ihre Ablehnung vor allem damit, dass es in den ärmeren Ländern an Produktionskapazitäten und Technologie fehle. Dem widerspricht Carlos Correa, Direktor der NGO South Centre in der Schweiz und Experte für Handel und geistige Eigentumsrechte. „Kapazität ist da“, erwidert er. „Worin liegt das Risiko, es zu versuchen?“, fragte Correa im Rahmen des VIDC-Webinars und gab zu bedenken: „Die Regierungen sind vermutlich von den Lobbys der großen Pharmakonzerne beeinflusst.“

Erfahrungen durch HIV. Hassan von der Health Justice Initiative in Kapstadt erinnert an die HIV-/Aids-Epidemie vor 20 Jahren. Der Preis für die Medikamente zur HIV-Behandlung betrug damals aufgrund von Patentmonopolen über 10.000 US-Dollar für eine Person pro Jahr, schlicht unleistbar für viele.

2001 machte die WTO sogenannte Zwangslizenzierungen im Rahmen des TRIPS-Übereinkommens möglich. Diese erlauben es Regierungen, Dritten die Patentnutzung zu gestatten, ohne dafür die Einwilligung der Patenteigentümer einholen zu müssen. Die Patenteigentümer werden durch Staaten quasi gezwungen (deswegen „Zwangslizenzierungen“), die Patentnutzung zu erlauben.
Die Produktion von Generika wurde möglich und die Preise für HIV-Medikamente fielen im folgenden Jahrzehnt um 99 Prozent.

Die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala 1. März Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO). Foto: WTO

Wirtschaftlicher Druck. Wären diese Zwangslizenzen auch im Fall von Covid-19 sinnvoll? Ngozi Okonjo-Iweala, seit März neue WTO-Präsidentin, spricht sich dafür aus. Das Problem ist laut Handelsexperte Correa, dass Entwicklungsländer vor dem Einsatz der Zwangslizenzierung gegenüber Unternehmen zurückscheuen – aus Angst vor wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen.
So wurde zum Beispiel 2017 publik, wie der Schweizer Pharmakonzern Novartis wirtschaftlichen und rechtlichen Druck auf Kolumbien ausübte, als die kolumbianische Regierung über eine Zwangslizenz Generika des Novartis-Krebsmedikaments Glivec herstellen wollte.

Kooperationen. Eine weitere Alternative zur Zwangslizenz und zum Trips-Waiver: Unternehmen können freiwillige oder vorübergehende Lizenzen vergeben oder Kooperationsverträge abschließen. So unterzeichnete AstraZeneca im Juni 2020 ein Abkommen mit dem weltgrößten Hersteller von Impfstoffen, dem „Serum Institute of India“ (SII) (das Südwind-Magazin berichtete, vgl. Her mit dem Stoff!). Damit kann der indische Konzern eine Milliarde Impfdosen für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen lizenzfrei herstellen.

Auch die Impfstoff-Initiative COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) der WHO setzt unter anderem auf das AstraZeneca-Vakzin. Die Initiative mit nun 193 teilnehmenden Staaten hat sich die weltweit faire Impfstoffverteilung zum Ziel gesetzt und will bis Ende 2021 zwei Milliarden Impfdosen verteilen.
Die WHO ruft reichere Länder dazu auf, zehn Millionen Impfdosen für das Gesundheitspersonal in den 20 ärmsten Ländern der Welt zu spenden. „Wir werden die Pandemie nur dann beenden, wenn wir sie überall zur gleichen Zeit beenden“, sagt WHO-Chef Ghebreyesus.

Update 7. Mai 2021:

Am 5. Mai gaben die USA bekannt, dem TRIPS-Waiver und damit einer Aussetzung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe bei der WTO zu unterstützen.

„Dies ist eine weltweite Gesundheitskrise, und die außergewöhnlichen Umstände der COVID-19-Pandemie rufen nach außergewöhnlichen Maßnahmen“, heißt es im offiziellen Statement der US-Handelsvertretenden Katherine Tai. „Die Impfstoffversorgung für US-Amerikaner ist gesichert, wir werden weiterhin alles tun, um Impfstoffherstellung und -verteilung voranzutreiben.“
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus beschreibt die Entscheidung der USA als „einschneidenden Moment im Kampf gegen COVID-19“.

WTO-Direktorin Ngozi Okonjo-Iweala heißt „den Willen“ der USA willkommen und drängt auf baldigen Beginn offizieller Verhandlungen.

Die Ankündigung der USA kommt in der Zeit, in der Indien – gemeinsam mit Südafrika ursprünglicher Antragssteller des TRIPS-Waiver – einen Höhepunkt der Coronakrise erlebt.
Statements der Handelsminister Australiens und Neuseelands lassen vermuten, dass sie der offiziellen US-Entscheidung bald folgen werden. Der Druck auf die EU steigt.

Rosalie Marktl ist Journalismus-Studentin und arbeitet als Yogalehrende in Wien. Sie wird in der kommenden Zeit im Rahmen eines (Pflicht-)Praktikums verschiedene Aspekte rund um Covid-19 und globale Perspektiven recherchieren, auch abseits des Themas Impfungen.

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