Umkämpftes Gut

Von Gundi Lamprecht · · 2021/Mai-Jun
Öffentlichkeitswirksam zelebriert Indiens Premierminister Narendra Modi jedes Jahr den Weltyogatag am 21. Juni (Foto aus 2018). © Manish Swarup / AP /picturedesk.com



Viele wollen von Yoga profitieren. Auch auf höchsten, politischen und wirtschaftlichen Ebenen gibt es konkurrierende Positionen.

Narendra Modi ist Indiens Premierminister, Hindu-Nationalist und begeisterter Yoga-Praktizierender. Er hat einen eigenen Yoga-Kanal auf Youtube und präsentiert Yoga als einen Weg zu mehr Gesundheit und Frieden.

2014 schlug er die Einführung eines Weltyogatags bei den Vereinten Nationen vor – und bekam ihn. Seit damals stehen jedes Jahr am 21. Juni Yoga-Praktizierende in Indien und auf der ganzen Welt auf der Matte, um gemeinsam zu üben.

Modi lässt sich gerne dabei mitten in den Massen ablichten. Für ihn ist Yoga nicht zuletzt ein Mittel, um das Bild Indiens im Ausland zu bereichern sowie um den Nationalstolz in Indien zu stärken.

Rund 80 Prozent der indischen Bevölkerung sind Hindus, 15 Prozent gehören dem Islam an, der die zweitgrößte Religion im Land ist. Besonders in den ersten Jahren nach seiner Einführung kritisierten muslimische Gruppen in Indien den Yogatag. Sie sehen u.a. den beliebten Yoga-Sonnengruß als hinduistische Religionspraktik, auch weil im Hinduismus die Sonne als Gott verehrt wird.

Modi ist nicht der erste indische Politiker, der sich für die Verbreitung von Yoga stark macht. Schon der erste Premierminister des seit 1947 unabhängigen Staates, Jawaharlal Nehru (im Amt bis zu seinem Tod 1964), war von den gesundheitsfördernden Auswirkungen von Yoga auf Körper und Geist überzeugt. Er praktizierte selbst und wollte die Bevölkerung dafür begeistern.

Nehru schrieb ein Buch über Yoga, setzte sich für seine wissenschaftliche Erforschung und seine Bekanntmachung im Ausland ein und legte die Grundlagen für die Verankerung von Yoga-Unterricht in staatlichen indischen Institutionen, z.B. in Schulen.

Vermarktung. In den 1990er und 2000er Jahren machte der Yoga-Guru, Aktivist und Unternehmer Baba Ramdev vor, wie man Yoga massentauglich machen kann: Er propagierte im Fernsehen die vielerlei positiven gesundheitlichen Wirkungen des Yoga und brachte bis zu 20.000 Yoga-Übende in großen Sportstadien zusammen.

Ramdev engagierte sich als Anhänger der Hindu-Nationalisten politisch und unterstützte 2014 den Wahlkampf von Modi. Mittlerweile erreicht er mit seinem 2006 begründeten Unternehmen Patanjali Ayurved Umsätze in Milliardenhöhe vor allem mit dem Verkauf von ayurvedischen Produkten und Yoga-Literatur.

Premierminister Modi rief kurz nach seiner Amtseinführung 2014 ein Ministerium für Ayurveda und Yoga ins Leben: das sogenannte Ayush-Ministerium steht für „Ayurveda, Yoga and Naturopathy, Unani, Siddha and Homoeopathy“.

Das Ziel: Indien soll das globale Zentrum für traditionelle Medizin in Forschung und Praxis werden. Zuletzt kochte jedoch landesweit heftige Kritik hoch, weil das Ministerium, das neben dem Gesundheitsministerium existiert, einen Leitfaden für Corona-Prophylaxe herausgab, die auf der Einnahme von homöopathischen Mitteln basiert.

Weniger umstritten war die Aufnahme von Yoga-Klassen im Schulunterricht. Darüber hinaus nahmen diese Einzug in Gefängnissen, Polizei- und Militärausbildungen. 2018 wurden verpflichtende, tägliche Yoga-Stunden mit Atemübungen sowie Entspannung und Meditation zudem Teil des Ausbildungsprogramms der indischen Anti-Terror-Einheit „Black Cats“.

Begehrlichkeiten. Mit dem internationalen Erfolg von Yoga kam es zu – teils heftig ausgetragenen – Diskussionen und Rechtsstreitigkeiten um Yoga-Patente.

Das prominenteste Beispiel: Bikram Choudhury, ein Inder aus Kalkutta, der in Hollywood in den 1990er Jahren mit einer schweißtreibenden Art von Yoga zum Millionär aufstieg. Bikram Yoga nannte er eine Reihe von 26 Yoga-Positionen und zwei zusätzliche Atemübungen, die bei 40 Grad durchgeführt werden.

Die Abfolge ließ er sich patentieren und baute damit ein Franchise-Unternehmen auf, das Anfang der 2000er Jahre über 900 Studios weltweit zählte.

Als Yoga-Studios anfingen eigene Varianten davon anzubieten, begann er, diese rechtlich zu verfolgen. Nach vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde ihm vom US-Patentamt 2012 das Urheberrecht entzogen.

Die sinngemäße Begründung: Yoga-Übungen seien nicht innovativ, weil sie vor Jahrtausenden erfunden wurden und auch eine Sequenz sei nicht patentierbar.

Sorge ums Erbe. In Indien zeigten sich viele empört von derartigen „Vereinnahmungsversuchen“ aus dem Ausland. Der Unternehmer Ramdev etwa forderte als Yoga-Lehrer und einflussreicher Geschäftsmann die indische Regierung auf, aktiv zu werden und das Yoga-Erbe zu schützen.

Die Regierung reagierte und bestellte zehn sorgfältig ausgewählte Yoga-Meister*innen, die seitdem unter der Aufsicht von Wissenschaftler*innen eine nach der anderen alle bekannten Übungen so darstellen sollen, wie sie in den alten Schriften beschrieben sind.

Die Videoaufnahmen davon werden in die Traditional Knowledge Digital Library (TKDL) in Delhi aufgenommen. Dabei handelt es sich um eine Datenbank, die auch das alte medizinische Ayurveda-Wissen enthält und auf die internationale Patentprüfer*innen Zugriff haben. So soll vermieden werden, dass Patente auf uraltes Yoga-Wissen angemeldet werden können.

Doch die Zahl der Yoga-Übungen lässt sich schwer eingrenzen: Nach der traditionellen Yoga-Lehre zählt man laut Überlieferungen 84.000 Asanas, also Yoga-Stellungen. Das ist aber eher als eine symbolische Zahl zu sehen. Damit gemeint war, dass es so viele Übungen gibt wie Menschen, die sie ausführen.

Ob Indiens ehrgeiziges Unterfangen, alle Asanas zu dokumentieren, je zu einem umfassenden Abschluss kommen kann, ist also fraglich.

Gundi Lamprecht ist Redakteurin des ORF in der Abteilung „Religion und Ethik multimedial“. Ihre Spezialgebiete sind Buddhismus und Hinduismus. Seit vielen Jahren lernt und lehrt sie Ashtanga Yoga.

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