US-Dollar statt Bolívar

Von Tobias Lambert · · 2020/Jan-Feb

Während in Venezuela der politische Machtkampf zwischen Regierung und Opposition andauert, regiert in der Wirtschaft jetzt die US-Währung.

Ohne den US-Dollar läuft im venezolanischen Alltag nicht mehr viel. Die grünen Scheine werden nun fast überall als gängiges Zahlungsmittel akzeptiert, Bargeld in der Landeswährung Bolívar ist kaum zu bekommen. Vor gut einem Jahr war die US-Währung offiziell noch verpönt und nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Doch im vergangenen November bezeichnete der venezolanische Präsident Nicolás Maduro den Dollar plötzlich als „Sicherheitsventil“, das dazu dienen könne, dass sich die „Produktivkräfte des Landes erholen und entfalten“.

Zwischen Oktober 2018 und März 2019 hatte die Regierung den Tausch von Dollar legalisiert und die Preiskontrollen, die für zahlreiche Güter des täglichen Bedarfs bestanden, de facto abgeschafft. In der Folge stehen die meisten Produkte mittlerweile wieder in den Supermarktregalen, allerdings zu horrenden Preisen.

Nach Jahren schwerer Wirtschaftskrise hat die Hyperinflation sämtliche Ersparnisse und Löhne in der Landeswährung Bolívar entwertet, der Mindestlohn beträgt umgerechnet nur wenige Dollar pro Monat. Ohne die beinahe kostenlosen Lebensmittelkisten, die ein Großteil der Bevölkerung von der Regierung erhält, sowie Rücküberweisungen migrierter Familienangehöriger könnten die meisten VenezolanerInnen nicht überleben.

Intransparente Privatisierungen. Gleichzeitig wächst in der Hauptstadt Caracas eine Infrastruktur, die ausschließlich vermögende Leute anspricht. In Einkaufszentren werden teure Importwaren angeboten. Im historischen Stadtzentrum sind hippe Cafés entstanden, vermutlich von regierungsnahen Geschäftsleuten eröffnet. Die Regierung selbst privatisiert auf intransparente Art und Weise staatliche Unternehmen. Da die Öffnung der Ökonomie aber dem genauen Gegenteil der Wirtschaftspolitik des Maduro-Vorgängers und in den Armenvierteln noch immer verehrten Hugo Chávez entspricht, verkündete die Regierung diese Maßnahmen sehr zurückhaltend, meint der linke, regierungskritische Ökonom Manuel Sutherland. Am Ziel des Sozialismus hält Maduro hingegen offiziell fest. „Mit dem sozialistischen Diskurs richtet sich die Regierung an ihre eigene Basis, denn sie muss zeigen, dass sie anders ist als die Opposition“, sagt Sutherland, Direktor des Forschungs- und Ausbildungszentrums Centro de Investigación y Formación Obrera.

Für die Krise verantwortlich macht die Regierung so vor allem die US-Sanktionen. Nachdem sich der Parlamentsvorsitzende und Anführer der rechten Opposition, Juan Guaidó, im Jänner vergangenen Jahres mit Unterstützung der USA selbst zum Interimspräsidenten erklärt hatte, verschärfte die US-Regierung die Sanktionen drastisch. Sie verschlimmern die Situation – vor allem der ärmeren Bevölkerung, weil diese die Wirtschaftskrise aufgrund fehlender Rücklagen kaum privat abfedern kann.

Politische Pattstellung. Dass die Nutzung des Dollars einen Weg aus der Wirtschaftskrise weist, ist kaum zu erwarten. Der politische Machtkampf blockiert fast alles, die Regierung hat kaum Instrumente, um dringend benötigte Investitionen vorzunehmen.

Die Aussicht auf den von Guaidó versprochenen schnellen Regierungswechsel besteht bereits seit Monaten nicht mehr. Weder gelang es dem Oppositionsführer, das venezolanische Militär auf seine Seite zu ziehen, noch führten die US-Sanktionen zu einem vollkommenen wirtschaftlichen Zusammenbruch.

Auf der Straße konnte Guaidó zuletzt kaum noch mobilisieren. Zaghafte Verhandlungsversuche unter Vermittlung Norwegens versandeten. Zudem erschütterten mehrere Korruptionsskandale die mittlerweile wieder gespaltene rechte Opposition.

Anfang Jänner kochte der venezolanische Machtkampf wieder hoch. Sowohl Guaidó als auch der abtrünnige Oppositionelle Luis Parra beanspruchen seitdem den Parlamentsvorsitz.

Parra hatte im Dezember mit der Oppositionsmehrheit gebrochen, nachdem herausgekommen war, dass er und andere Abgeordnete regierungsnahen Geschäftsleuten dabei geholfen haben sollen, für das Lebensmittelprogramm der Regierung US-Sanktionen zu umgehen.

Bis Redaktionsschluss war der Konflikt nicht entschieden. Nötig wäre eine politische Lösung, die die Aufhebung der US-Sanktionen und die ausgehandelte Neuwahl aller politischen Gewalten beinhalten müsste. Doch diese scheint in noch weitere Ferne gerückt zu sein.

Tobias Lambert lebt in Berlin. Er arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika.

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