Venedig und die Zukunft der Welt

Von Redaktion · · 2015/07

Robert Lessmann besuchte die diesjährige Biennale in Venedig, um die Beiträge aus dem „Süden“ zu sichten.

Mehr denn je geht es um Nachhaltigkeit und um Machtfragen. Schon die ersten Länderpavillons in den „Giardini“ stecken das Feld ab: Die Beiträge im belgischen Pavillon widmen sich der Aufarbeitung kolonialer und neokolonialer Situationen, etwa durch eindrucksvolle Luftaufnahmen eines historischen „cordon sanitaire“, wie er von 1920-1960 schwarze und weiße Wohngegenden in Lubumbashi (heute zweitgrößte Stadt der Demokratischen Republik Kongo, Anm.), trennte. Seine Breite entsprach der maximalen Flugdistanz der Stechmücke und Malaria-Überträgerin Anopheles. Gleich daneben regt Herman de Vries mit seinen Erdproben auf Papier in allen Schattierungen und seinen Trockenpflanzen zum Nachdenken an: „Alles ist schon da! Ich mache bloß darauf aufmerksam“, so der niederländische Sammler.

Marx und Mutu. In der „Arena“ lädt eine Dauerlesung des „Kapital“ von Karl Marx weniger zum Verweilen ein als dazu, dieses viel zitierte und wenig gelesene Werk wieder einmal in die Hand zu nehmen. Eine fulminante Videopräsentation des Ghanaers John Akomfrah auf drei Leinwänden widmet sich dem Umgang des Menschen mit der Natur – auch der menschlichen. Walfang ist dort ebenso Thema wie die Sklaverei. Künstlerisch herausragend sind in diesem Teil der Ausstellung die Arbeiten der Kenianerin Wangeshi Mutu, die mit den Klischees weiblicher Schönheitsideale spielt.

Der griechische Pavillon ist eine Baustelle, inklusive Nachbau eines Lederwarenladens ohne Lederwaren. Daneben läuft ein Video, in dem der Besitzer vom Niedergang seines Geschäfts erzählt.

Abkehr vom Nationalen. Immer wieder spielt das Thema Migration eine Rolle, so in den Fotografien des Deutschen Tobias Zielony, die sich jenseits von Lampedusa mit dem Alltag von Migrantinnen und Migranten in Europa beschäftigen. Der serbische Pavillon thematisiert die „United Death Nations“ wie er Österreich-Ungarn, die Sowjetunion, Jugoslawien oder Tibet bezeichnet – und damit auch das Ablaufdatum des Nationalstaats, in dessen Namen so viel Unheil angerichtet wurde und wird.

Noch bis zum 22. November findet in Venedig die 56. Biennale statt, zusammen mit der Documenta in Kassel die größte und wichtigste Kunstschau der Welt. Um den wuchernden Kunstdschungel zu durchstreifen, gibt es erstmals ein Zweitagesticket zum Preis von € 30; das Tagesticket kostet € 25.

Es ist eine ausgesprochen politische Biennale. Im Palazzo Benzon gastieren die Inderin Shilpa Gupta und der Pakistani Rashid Rana in einem Gemeinschaftsprojekt, das zumindest in der Kunstwelt der beiden im Kriegszustand befindlichen Nationen mit großem Enthusiasmus aufgenommen wurde. Bei Rana geht es um unterschiedliche Wahrnehmungen und die Dekonstruktion von Realitäten. Gupta setzt sich unter anderem mit dem blutigen Übergang von Ost-Pakistan zu Bangladesch auseinander. Die Zunahme übergreifender Projekte lässt auf die Abkehr vom nationalen Auftritt auch in der Kunst schließen.

Lego als Metapher. Die Beiträge aus dem globalen Süden sind zahlreicher und vielfältiger denn je. Mehr als eine bloße Kunstschau will die diesjährige Biennale Denkanstöße geben in Sinne ihres Mottos: „All the World’s Futures“. Das liegt auch an ihrem Direktor Okwui Enwezor, einem Nigerianer mit US-Pass, der derzeit das Haus der Kunst in München leitet. „Ist es möglich, die Zukunft der Welt von Europa, Afrika oder Asien aus zu denken?“, fragt Enwezor. Ihm geht es darum, verschiedene Optiken zusammen zu führen.

Erstmals in Venedig vertreten ist Kuba, abseits des Rummels auf der Insel Servolo. In einem weißen Lego-Haus im Garten erklärt eine junge Frau im Stile der landesüblichen Fernsehansprachen ernst und ein bisschen belehrend den Übergang in eine kapitalistische Zukunft – und stellt die Kernelemente dieses privatwirtschaftlichen Aufbaus vor: La Casa Privada als Metapher – und der Legostein als Bauelement. Selbstironie in der besten Tradition des kubanischen Films, wie „Guantanamera“ oder „Fresas y Chocolate“.

Robert Lessmann ist promovierter Soziologe und Politologe. Zu seinen Schwerpunktthemen zählen Lateinamerika und Drogen, immer wieder schreibt er aber auch über die Welt der Kunst.

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