Verkauf ist Frauensache

Von Paola Carega · · 2001/12

Cotonou, die Hauptstadt des westafrikanischen Kleinstaates Benin, lebt vom Handel. Ob einfache Straßenverkäuferinnen oder wohlhabende „Mama Benz“, Handel und Verkauf sind fest in Frauenhand.

Brigitte Olympjo fächelt sich mit ihrem Sparbüchlein Luft zu. In der anderen Hand hält sie einen Geldschein. 500 CFA, umgerechnet circa zehn Schilling, will sie heute auf die Bank tragen. Dafür hat sie einen Tag lang Maisbrei an Schulkinder verkauft. Mit ihr im Schatten sitzen rund 15 weitere Frauen und vertreiben sich die Zeit mit Schwatzen. Die Bank ist nur eine unscheinbare Wellblechhütte. Hier gibts keinen „gardien“ in dunkelblauer Uniform, der der Klientel die Tür aufhält, und keine Klimaanlage, die das Warten erträglicher macht – aber auch keine Bettler, die auf großzügige Bankkunden hoffen. Denn die Frauen gehören selbst zu den Kleinstverdienerinnen: Straßenköchinnen, Marktfrauen, Händlerinnen. Am Straßenrand schöpfen sie Couscous aus großen, gusseisernen Töpfen, bieten ihre Ware auf Plastiktischchen an oder tragen sie auf dem Kopf: Toilettartikel, Ananas, einen Käfig mit lebenden Hühnern.
Der westafrikanische, frankophone Kleinstaat Benin gehört zu den so genannten LDCs, zu den ärmsten Ländern der Erde. Exportiert wird wenig: Baumwolle, ein wenig Erdöl, Palmprodukte, Kakao. Den Löwenanteil im informellen Sektor besetzen die Frauen. So sind laut einer Studie neun von zehn Handeltreibenden weiblichen Geschlechts.

Die Idee einer Bank nur für Frauen kommt von den Händlerinnen selbst. Denn der Zutritt zu den großen Geldinstituten bleibt ihnen verwehrt. Keine Bank gewährt den Kleinst-Gewerbetreiberinnen Kredite. Mit Unterstützung einer niederländischen Entwicklungsorganisation gründeten sie 1994 das Projekt Assef (Association d’Entraide des Femmes). Ziel ist es, wenigverdienenden Frauen eine Möglichkeit zu bieten, Geld anzulegen und Kleinkredite aufzunehmen. Schon nach zwei Jahren gehörten über 800 Frauen der Sparkasse an. Heute wird Assef von der Deza (Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) unterstützt und zählt 12.000 Mitglieder und 23 Kassen im Einzugsgebiet der Wirtschaftsmetropole Cotonou. „Wir mussten nicht einmal Werbung für die Bank machen. Die Frauen haben es sich untereinander weitererzählt und am nächsten Tag sahen wir wieder neue Gesichter“, sagt Janine Agnikpe, Direktorin von Assef. Die meisten Frauen kommen einmal pro Woche. Eingeschlagen in ein Taschentuch oder verborgen im Bund ihres Wickelrocks bringen sie 500, 1000 oder auch schon mal 5000 CFA zur Bank. Sorgfältig trägt die Kassierin den Betrag in ein hellblaues Notizbüchlein ein. Die Geldscheine verschwinden in einer simplen Tischschublade, bevor sie abends zur Bank gebracht werden.
Nebst der Möglichkeit, ein Konto zu eröffnen, können die Frauen auch Kleinkredite aufnehmen. Ein Viertel des Betrags, den sie beanspruchen, sollte dabei als Garantie auf ihrem Konto vorhanden sein; der Kredit darf das Vierfache des Kontoguthabens nicht übersteigen. Durchschnittlich beantragen die Frauen 10.000 CFA, also knapp 200 Schilling. Mit dem Geld, das nur für Geschäftszwecke bestimmt ist, eröffnen sie einen kleinen Gemischtwarenladen oder kaufen en gros Grundnahrungsmittel wie Mais und Reis ein.
Acht Monate haben sie Zeit, um das Geld zurückzuzahlen, der Zins beträgt zwei Prozent. Einmal pro Jahr können die Frauen auch einen so genannten Schulkredit beanspruchen: Zwischen 5000 und 30.000 CFA, um damit die Semestergebühren für ihre Kinder zu begleichen und Hefte und Bücher zu kaufen. Die Bank gebe ihnen die Möglichkeit, längerfristig zu planen. Je nach Marktlage könnten sie investieren oder Geld auf die Seite legen, so die Assef-Direktorin Janine Agnikpe. Sie schränkt jedoch ein, dass die Frauen nach wie vor einen schwierigen Stand als Erwerbstätige hätten. „Die Händlerinnen leben an der Armutsgrenze. Sie müssen tagaus und tagein arbeiten, um ihre Familie ernähren zu können.“

Doch längst nicht alle Händlerinnen in Cotonou gehören zu den Ärmsten in der Bevölkerung. Nur wenige Schritte von den Straßenverkäuferinnen entfernt, auf dem Markt Dantopka – einem der größten westafrikanischen Märkte – wirtschaften Frauen ganz anderen Kalibers. Unübersehbar thronen sie hinter ihrem Stand, die so genannten „Mama Benz“: füllige Geschäftsfrauen, die edle „Wax“-Stoffe (Anmerkung. Red.: maschinelle Druckbatiken) verkaufen, mit lauter Stimme das Marktgeschehen dominieren und nicht selten – daher auch ihr Name – teure Autos fahren.
Das Geschäft mit dem Tuch ist lukrativ. Denn Beninerinnen und Beniner, die es sich leisten können, tragen zu jedem Anlass – ob Firmenjubiläum, Präsidentschaftswahlen, Hochzeit oder Beerdigung – den passenden „Boubou“, das westafrikanische Gewand schlechthin. „Bei einer großen Beerdigung kommen schnell einmal ein paar hundert Personen zusammen. Traditionellerweise tragen an einem solchen Tag alle den gleichen Boubou. Das entspricht einer Bestellung von mehreren hundert Metern Stoff“, rechnet Sétou Sekloka vor. Die 55-jährige „Mama Benz“ hat gerade zwölf Meter eines blaugemusterten Stoffes im Wert von umgerechnet 840 Schilling verkauft und zählt die Geldscheine ab. Nach Abzug ihrer Ausgaben bleiben ihr rund 70 Schilling Gewinn.
Auf dem Holztisch, an dem sie sitzt, liegen ihr Handy und ein Taschenrechner. Sekloka ist seit elf Jahren im „Wax-Business“ tätig. Ursprünglich aus einer Notlage heraus ins Geschäft eingestiegen – sie verlor ihren Job als Bankangestellte – kann sie sich heute keine andere Arbeit mehr vorstellen. „Als Stoffhändlerin verdiene ich fast das Zehnfache wie als diplomierte Kauffrau. Außerdem bin ich selbständig und nicht mehr von einem Arbeitgeber abhängig“, sagt die Mutter von fünf Kindern. Sogar Englisch hat sie inzwischen gelernt, damit sie mit nigerianischen Kunden verhandeln kann.
Zu ihrem Kundenkreis gehören weiter beninische Kleinhändlerinnen, die ihrerseits die Stoffe auf Märkten im Landesinneren verkaufen. Die Druckbatiken stammen seit jeher aus England, Holland oder den USA. Getragen werden die bunten Tücher aber nur von Afrikanerinnen und Afrikanern.
Das Tuch, das Sekloka verkauft, wird in Manchester bedruckt; drei- bis viermal pro Jahr ordert sie die Stoffballen über einen beninischen Großimporteur.
Zu schaffen macht Sekloka die Konkurrenz. Zwar, so sagt sie, pflegten die „Mama Benz“ ein freundschaftliches Verhältnis untereinander. „Doch jede wirtschaftet für sich allein.“ Denn das „Wax-Business“ sei hart: „Feilschen und Diskutieren gehören dazu. Doch wenn ein Kunde zum nächsten Stand wechselt, weil dort ein tieferer Preis lockt, ist das nicht leicht zu verkraften.“ Vielleicht, tröstet sie sich dann, habe ihre Nachbarin einfach wieder einmal einen stärkeren Verkaufszauber als sie selbst benutzt.

Paola Carega ist freie Journalistin und lebt in Basel in der Schweiz. Von März bis Ende Mai 2001 besuchte sie Benin, wo sie in Cotonou als Journalistin arbeitete.

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