Weniger Demokratie, mehr Dynastie

Von Sven Hansen · · 2024/Mai-Jun
Viele Fahnen mit Wahlwerbung neben einer viel befahrenen Straße
© Sven Hansen

In Indonesien ist der umstrittene Ex-General Prabowo Subianto zum Präsidenten gewählt worden, mit Hilfe massiver Interventionen des scheidenden Staatsoberhauptes.

Für Ayu Utami ist die Sache klar: „Prabowo Subianto als Präsident ist ein Rückschritt für unsere Demokratie“, sagt die indonesische Schriftstellerin. Utami weiß, wovon sie spricht. Die indonesische Autorin und Journalistin widmet sich seit Jahrzehnten dem Kampf gegen Korruption und für unabhängigen Journalismus in ihrem Heimatland.

Indonesiens Verteidigungsminister hat die Wahlen vom 14. Februar deutlich gewonnen und soll im Herbst zum neuen Staatsoberhaupt vereidigt werden.

An einem einzigen Tag wurden in dem 274 Millionen Einwohner:innen zählenden südostasiatischen Land der Präsident, das nationale Parlament und regionale Vertretungen gewählt. Laut offiziellem Endergebnis vom 20. März kam der 72-jährige Ex-General auf 58,6 Prozent. Früh war klar, dass es keine Stichwahl geben wird und Prabowo – wie er weitläufig genannt wird – feierte am Wahlabend seinen Sieg.

Der zweitplatzierte Anies Baswedan, der 54-Jährige Ex-Gouverneur Jakartas, kam auf 24,9 Prozent. Der Bildungsexperte mit US-Doktortitel propagierte einen „Wechsel“. Doch für Progressive war er nicht wählbar, weil ihn konservative Muslim:innen bis hin zu gewaltbereiten Islamist:innen unterstützen.

Anies reichte inzwischen Wahlbeschwerde beim Verfassungsgericht ein, das Urteil soll im Mai gefällt werden. Professor:innen und Studierende von 30 Universitäten hatten schon vor dem Wahltag ein Eingreifen der Wahlbehörden gefordert. Die Regierung nannte die Kritik ein „demokratisches Recht“, wies die Vorwürfe aber pauschal zurück und vermied jede Debatte.

Indonesien

Hauptstadt: Jakarta
Fläche: 1.904.569 km2 (fast 23 Mal so groß wie Österreich)
Einwohner:innen: 273,8 Millionen (2021)
Human Development Index (HDI): Rang 114 von 191 (Österreich 25)
BIP pro Kopf: 4.798,12 US-Dollar (2022, Österreich: 52.084,7 US-Dollar)
Regierungssystem: Präsidialrepublik
1949 konnte Indonesien seine Unabhängigkeit von den Niederlanden nach blutigen Kämpfen durchsetzen. Der Nationalist Sukarno regierte das Land zunehmend autoritär bis 1967. Ihm folgte der antikommunistische General Suharto, der bis 1998 diktatorisch regierte.
Erst seit 1999 gibt es demokratische Wahlen.
Indonesien ist mit rund 274 Millionen Einwohner:innen heute die drittgrößte Demokratie der Welt und das Land mit der größten Anzahl an Muslim:innen. Derzeit entsteht eine neue Hauptstadt namens Nusantara auf dem indonesischen Teil Borneos (Asiens größter Insel); eine von 17.508 Inseln, über die sich das Land erstreckt. C.S.

Dunkle Vergangenheit. „Prabowo wird mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht“, betont Autorin Utami und meint damit seine Rolle in der Diktatur Suhartos (1967 bis 1998). Als Kommandeur der Spezialeineinheiten soll der nun designierte Präsident (und ehemaliger Schwiegersohn Suhartos) 1998 zentral beim Verschwindenlassen von Aktivist:innen gewesen sein. Er bestreitet jede Verantwortung.

Menschenrechtsgruppen werfen ihm zudem Massaker in Osttimor und Tötungen in Westpapua vor. Nach Suhartos Sturz entließ ihn die Armee. In den USA hatte er bis 2020 Einreiseverbot.

Als einziger der drei Präsidentschaftskandidaten ließ er Fragen von Human Rights Watch zu seiner Menschenrechtspolitik unbeantwortet.

Ringen um Einfluss. Der im Oktober aus dem Amt scheidende Präsident Joko Widodo „hat alles getan, damit Prabowo gewinnt“, meint Autorin Utami, ausgewiesene Kennerin der indonesischen Politik. „Zunächst versuchte Widodo entgegen der Verfassung noch eine dritte Amtszeit zu bekommen. Als das scheiterte, änderte er sein Vorgehen.“ 

Um Einfluss zu behalten, machte er seinen Sohn Gibran Rakabuming Raka zu Prabowos Vizekandidaten. Damit der 36-Jährige überhaupt kandidieren durfte, musste für ihn das Mindestalter von 40 Jahren aufgehoben werden. Dies erlaubte das Verfassungsgericht unter Vorsitz von Widodos Schwager. Zwar nannte das Gericht die Entscheidung später „unethisch“ und setzte seinen Vorsitzenden ab. Doch die Entscheidung blieb aufrecht.

„Meine Freund:innen und ich hatten bei vorherigen Wahlen Widodo unterstützt,“ sagt Utami. „Aber jetzt stellen wir fest, dass er wichtige demokratische Institutionen, wie die Anti-Korruptionsbehörde, die Wahlbehörden und das Verfassungsgericht geschwächt hat. Unter Prabowo dürften das so weitergehen.“

Beliebter Strippenzieher. Widodo ist der eigentliche Gewinner der Wahl. Viele glauben, dass der einst als Reformer und „indonesischer Barack Obama“ gefeierte eine Familiendynastie errichten will. Denn auch sein jüngster Sohn und ein Neffe bekamen politische Ämter. Doch Widodo konnte die Wahl überhaupt nur so stark beeinflussen, weil er nach zehn Amtsjahren noch immer eine Zustimmungsrate von 70 bis 80 Prozent hat. Auch wenn ihm vorgeworfen wird, staatliche Ressourcen für Prabowos Wahlkampf verwendet und Beamt:innen unter Druck gesetzt zu haben.

Manche verglichen Widodos Einsatz für Prabowo, als hätte sich Obama plötzlich für Donald Trump ausgesprochen. Denn: Bei den Wahlen 2014 und 2019 hatte Widodo gegen Prabowo gewonnen. Doch 2019 wollte Letzterer seine Niederlage nicht anerkennen und ließ Anhänger:innen gewaltsam protestieren. Es gab Tote. Darauf machte Widodo zum Schreck seiner eigenen Anhänger:innen eine Kehrtwende und bot dem Repräsentanten der früheren Diktatur ausgerechnet das Amt des Verteidigungsministers an.

Imagewechsel. Prabowo nahm Widodos Angebot an und schuf sich fortan als Minister ein neues Image. Statt mit markigem Militärjargon zeigte er sich jetzt auf den Online-Plattformen Tiktok und Instagram mit tapsigen Tanzeinlagen oder als knuffige Comicfigur. Trotz seiner jähzornigen Art entwickelte er so bei Jungwähler:innen das Image eines „gütigen Opas“. „Ich finde Prabowos Tiktok Videos inspirierend“, meint die 18-jährige Oberstufenschülerin Indyati Asrifa. Sein Alter sei ein Nachteil, aber er sei erfahren. Ihr gefalle auch sein Versprechen kostenloser Milch für alle Schulkinder. Zu den Menschenrechtsvorwürfen sagt sie: „Prabowo war nicht allein verantwortlich, sondern die gesamte Regierung.“

Prabowos Berater Budiman Sudjatmiko, der unter Suharto selbst im Gefängnis saß, meint: „Prabowo kann seine Vergangenheit nicht abschütteln, gibt sich aber glaubhaft geläutert.“ Den Multimillionär Prabowo, der eine Fortsetzung von Widodos erfolgreicher Wirtschaftspolitik verspricht, unterstützen das Gros der Elite und der Wirtschaft sowie zehn der 18 zur Wahl angetretenen Parteien.

Machtkampf vorprogrammiert? Drei Tage vor der Wahl versuchte der Filmemacher Dandhy Laksono noch mit seinem bei Youtube eingestellten Film „Dirty Vote“ aufzurütteln. Darin wiesen Expert:innen auf staatliche Beeinflussungen zugunsten Prabowos hin. Dessen Sprecher nannte den Film, der mehr als 20 Millionen Mal angeklickt wurde, eine „Verleumdung“.

Für Wahyu Dhyatmika, Onlinechef des Nachrichtenmagazins Tempo, kam der Film zu spät, vor allem, um größere Gruppen auf dem Land zu erreichen. Doch zeige die Doku, „dass die Zivilgesellschaft nicht schweigt“.

„Das Erschreckende ist die große Geschwindigkeit, mit der Widodo seinen Sohn Gibran direkt in der obersten Politikebene installiert hat“, sagt Andreas Harsono von Human Rights Watch in Jakarta. „Ihm ging es nie um Demokratie und Menschenrechte.“

Für Widodo zähle nur die Stabilisierung seiner Herrschaft und seines Einflusses. Das könnte noch zu einem Konflikt mit Prabowo führen. Allerdings ist offen, wieviel Einfluss Widodo am Ende wirklich behält oder ob Prabowo ihn abschüttelt.

Sven Hansen ist seit 1997 Asienredakteur der Taz in Berlin. Er war im Januar und Februar zur Berichterstattung über die indonesischen Wahlen in Jakarta.

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