Wenn eine Hand der anderen schadet

Von Ralf Leonhard · · 2006/06

Der Begriff der „Kohärenz“ ist in der entwicklungspolitischen Diskussion mittlerweile allgegenwärtig. Die Praxis zeigt, wie wenig der hohe Anspruch in die Wirklichkeit umgesetzt wird.

Tiefkühlhühner für Afrika: Als hätten es die Veranstalter von der Österreichischen EU-Plattform entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen Monate vorher so geplant, machte diese alarmierende Nachricht die Runde, als in Wien Mitte April ein Seminar zum Thema Kohärenz stattfand. Europäisches Geflügel, das wegen der Vogelgrippehysterie auf den heimischen Märkten nicht loszubringen war, sollte als Nahrungsmittelhilfe in Hungergebiete südlich der Sahara geliefert werden. Damit, so warnten die KritikerInnen, würden die afrikanischen Geflügelzüchter ruiniert. Denn die Erfahrung zeigt, dass Hunger meist lokal begrenzt ist und Nahrungsmittel in demselben Land ausreichend vorhanden wären. Hunger ist oft ein Transport- und Kaufkraftproblem. Nahrungsmittelhilfe dürfe nicht zur Entsorgung von Überschussproduktion missbraucht werden.
Europäische Tiefkühlhühner in Afrika: Ein Bilderbuchfall von entwicklungspolitischer Inkohärenz. Kohärenz ist zu einem neuen Modebegriff in der Entwicklungspolitik geworden. Wenn die eine Hand nicht weiß, was die andere tut oder gar dagegen arbeitet, ist das inkohärent – aber leider nicht die rare Ausnahme. Nach Artikel 178 des Vertrags von Maastricht aus dem Jahr 1992 hat die Europäische Union bei den von ihr verfolgten Politiken, die die Entwicklungsländer berühren können, die Ziele der Entwicklung zu berücksichtigen. Das heißt, die Grundsätze, die für die Entwicklungspolitik gelten – allen voran Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung –, sind auch auf andere Bereiche anzuwenden, also etwa die Handels- oder Agrarpolitik. So weit, sehr gut.

Das Prinzip hat sich aber offensichtlich in der Praxis nicht so richtig durchgesetzt. Fischereiabkommen zwischen der EU und afrikanischen Ländern basieren darauf, dass die jeweiligen Länder nicht genug eigene Kapazität haben, um ihre Küstengewässer nachhaltig zu befischen. Es geht also um die Verteilung des Überschusses. In der Theorie. Das EU Coherence Programme, ein europäisches NGO-Projekt mit Sitz in Brüssel, warnt, dass der Neuverhandlung der abgelaufenen Verträge keine wissenschaftlichen Studien zugrunde lägen. Daher werde oft nicht berücksichtigt, dass die Fischbestände sich vermindert hätten oder dass die Kapazität der afrikanischen Fischereiflotte sich durch Modernisierung vervielfacht habe. Wenn die Verträge trotzdem zustande kommen, ist das ein Problem mangelnder Kohärenz: Die afrikanischen Gewässer werden überfischt.
Else Boonstra vom EU Coherence Programme räumte auf dem Seminar ein, dass die EU in den letzten Jahren tatsächlich dazugelernt habe. Doch gebe es immer wieder Fälle von grober Inkohärenz. Etwa die Subventionen für den Baumwollanbau in europäischen Mittelmeerländern. Sie schaden den Baumwollproduzenten in Westafrika. Martin Dihm von der Europäischen Kommission wandte ein, dass die Subventionen bereits gesenkt worden seien. Und auf einer offiziellen Homepage setzt sich die EU gegen diesen Vorwurf zur Wehr: „Die EU subventioniert ihre Baumwollerzeugung, doch die Mengen sind begrenzt und machen nur etwa 2% der Weltproduktion aus.“ Tatsächlich fällt Europas Beitrag in diesem Fall kaum ins Gewicht. Die USA erzeugen im Vergleich fast ein Drittel der weltweit angebauten Baumwolle und geben für Subventionen an diesen Wirtschaftszweig dreimal mehr aus als Westafrika von Washington an Wirtschaftshilfe erhält.

Die Gefahren des Freihandels: Der deutsche Journalist Gottfried Wellmer weiß von Beispielen aus dem südlichen Afrika zu berichten, wo die EU durch Rindfleischexporte zu Dumpingpreisen die Gefahren des Freihandels just zu einem Zeitpunkt anschaulich machte, als Brüssel mit Südafrika ein Freihandelsabkommen verhandelte. Wenn Europa wirklich zur Entwicklung der Region beitragen wolle, solle es die regionale Integration fördern, so der Afrika-Experte.
In Österreich ist die Kohärenz im EZA-Gesetz von 2002 verankert. § 1(5) legt fest: „Der Bund berücksichtigt die Ziele und Prinzipien der Entwicklungspolitik bei den von ihm verfolgten Politikbereichen, welche die Entwicklungsländer berühren können.“ Während jedes Ministerium verpflichtet ist, diese Auflagen einzuhalten, obliegt es dem Außenministerium, die Einhaltung zu überwachen. Allerdings klagen Beamte, dass das Finanzministerium oft seine eigene Politik verfolge. Und dort sei schließlich das Geld. Auch in anderen Ressorts, die entwicklungspolitisch relevante Programme finanzieren, hat sich die neue Regel noch nicht herumgesprochen. Das trifft etwa auf Teile der vom selbsternannten „Lebensministerium“ vergebenen Nahrungsmittelhilfe zu. Aber Anton Mair von der Sektion Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium versichert, dass ein Mechanismus zur Überwachung der Kohärenz bestehe. Alle Gesetzesvorlagen würden überprüft, es gebe sogar eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe zwischen Außenamt und Finanzministerium, die auch die Budgetentwürfe durchleuchten darf. Die Lieferung der gefrorenen, wegen der Vogelgrippe hierzulande verschmähten Hühner befürwortet Mair ebenso wenig wie der EU-Beamte Dihm. Sein Ratschlag: „Keine marktverzerrenden Maßnahmen mehr setzen.“

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und lebt in Wien. Zuvor arbeitete er 13 Jahre als Journalist in Mittelamerika.

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