Wiederbegegnungen

Von Rudi Lindorfer · · 2012/07

Der Buchhändler unseres Vertrauens freut sich über einige Neuauflagen von Klassikern der Weltliteratur, von denen es immer noch viel zu wenige gibt und empfiehlt sie als Urlaubslektüre.

Im kommenden Urlaub will ich wiederlesen, Werke, die ich quasi vor ewigen Zeiten im Urlaub gelesen, die mich mitgerissen haben und die mittlerweile den Rang als Klassiker der modernen Literatur erlangt haben. Auf diese Idee brachte mich letztes Jahr das Erscheinen des Bandes „Die Romane“ von Alejo Carpentier (1904-1980). Die Werke „Die Methode der Macht“ und auch „Le sacre du printemps“ waren seit Jahren nicht mehr lieferbar, wie auch „Explosion in der Kathedrale“, „Das Reich von dieser Welt“, „Die verlorenen Spuren“, „Die Hetzjagd“ (Ein Roman um Beethovens „Eroica“) und „Die Harfe und der Schatten“.

Diese Romane machen die LeserInnen auf spannende Art und Weise begreiflich, was Lateinamerika von der Conquista bis zum „aufgeklärten“ Diktator durchgemacht hat. In „Le sacre du printemps“ lernen eine russische Tänzerin und ein kubanischer Architekt einander im spanischen Bürgerkrieg kennen. Mit ihnen führt Alejo Carpentier durch das zwanzigste Jahrhundert mit seinen politischen Strömungen, Alltagen und Kulturen: von Petersburg, London, Madrid, Paris und dem Weimar der ersten Jahre des Nationalsozialismus nach New York und Caracas und dazwischen immer wieder nach Havanna.

In „Methode der Macht“ stellt Carpentier den „aufgeklärten“ Diktator vor, einen Machthaber, der selbst seine ärgsten Verbrechen logisch als Tun für sein Volk erklärt. In unseren Tagen kommen einem nicht ohne Grund als Erstes Erinnerungen an Syrien in den Sinn. „Die Romane“ beinhaltet auch das „Barockkonzert“, ein wahres Kleinod der Literatur, nicht nur für LiebhaberInnen der Barockmusik, dieses polyglotten kubanischen Autors. Mit diesem Band allein wäre ein ereignisreiches Inseldasein für ein bis zwei Wochen gesichert.

Doch es gibt noch andere, wenn auch viel zu wenige, erfreuliche (Wieder-)Entdeckungen. So wurde von Uda Strätling „Alles zerfällt“ (früher unter dem Titel „Okonkwo oder das Alte stirbt“ lieferbar) neu übersetzt und mit einem Vorwort von Chimamanda Ngozi Adichie versehen. Der Nigerianer Chinua Achebe (geboren 1930) gilt als Vater der modernen afrikanischen Literatur und „Alles zerfällt“ als einer der wichtigsten afrikanischen Romane überhaupt. Er beschreibt den Niedergang einer Kultur wegen des Kolonialimus und der christlichen Mission, die neue Gemeinschaftsregeln durchgesetzt haben und so das streng geordnete, archaisch anmutende Dorfleben zerstören. Okonkwo, im Dorf geachteter Vertreter des „alten“ Systems, zerbricht an den Neuerungen, an der fehlenden Perspektive und vor allem an seiner Ohnmacht.

Alejo Carpentier: Die Romane
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011;
1.735 Seiten, Dünndruck; EUR 36,-

Ngugi wa Thiong’o: Verbrannte Blüten
Peter Hammer Verlag, Wuppertal, überarb. Neuauflage 2011; 588 Seiten; EUR 26,80

Chinua Achebe: Alles zerfällt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2012; 237 Seiten; EUR 20,60

Ebenfalls durchgesehen wurde die Neuausgabe der Übersetzung von Susanne Köhler von Ngugi wa Thiong’os (geboren 1938) „Verbrannte Blüten“. Der Roman ist eine Anklage der sozialen Zustände in Kenia, der engen Zusammenarbeit von ausländischem Kapital mit der herrschenden heimischen Schicht, die gegen das Volk und nur für die eigene Tasche arbeiten ließ. 35 Jahre nach Erscheinen des Romans wissen wir, dass sich nicht viel daran geändert hat. Und es sagt einiges aus, dass der Autor, nachdem er den Roman (auf Englisch) veröffentlicht hatte und das Thema in dem Theaterstück Ngaahika Ndeenda (auf gikuyu) auf die Bühne brachte, ohne Angabe von Gründen ins Hochsicherheitsgefängnis Kamiti geworfen wurde. Das war bereits die „humane“ Lösung, denn es gab auch Überlegungen, ihn umzubringen.

Wenn solche Werke außerhalb von Büchereien und Bibliotheken wieder auftauchen, ist es, als tauchte eine als im Freien ausgestorben geltende Art wieder auf; eine Art von höchster Schönheit, deren größtmögliche Verbreitung wünschenswert ist. Stehe ich vor meinen Bücherregalen und suche, wie letzten Herbst für einen Vortrag, Literatur aus den peruanischen Anden, kann ich es kaum fassen, dass die Werke von Ciro Alegría nicht mehr lieferbar sind. Dem Wagenbach Verlag sei es gedankt, dass er im vergangenen Sommer „Die tiefen Flüsse“ von José Maria Arguedas neu aufgelegt hat. Und dann fällt mir auf, dass auch die Werke von Miguel Angel Asturias, immerhin Literaturnobelpreisträger, nicht mehr lieferbar sind. Hier bräuchte ich doppelt so viel Platz, um meine Wünsche für Neuauflagen bekannt zu geben.

Der Autor ist Buchhändler in der Südwind Buchwelt und lebt in Wien.

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