„Wir haben keine Angst“

Von Sven Hansen · · 2019/Mai-Jun

Der frühere chinesische StudentInnenführer Wang Dan spricht über die Entwicklung Chinas seit der gewaltsamen Niederschlagung der Demokratiebewegung vor 30 Jahren.

Interview: Sven Hansen

Viele westliche Beobachterinnen und Beobachter haben geglaubt, dass sich Chinas Kommunistische Partei nach dem Tian’anmen-Massaker nicht lange halten würde. Doch heute scheint die autoritäre Herrschaft unter Präsident Xi Jinping seit Beginn der Öffnungspolitik 1979 stärker denn je zu sein.

Chinas Kommunistische Partei hat vom Ende der Sowjetunion 1989 viel gelernt. Nach 1990 hat Premierminister Li Peng dafür gesorgt, dass jegliche Proteste sofort unterdrückt wurden. Seitdem gab es keinerlei Spielraum für oppositionelle Bewegungen.

Eine weitere Lektion war, den Menschen mehr wirtschaftliche Freiheit zu geben, also sie eigene Firmen und Geschäfte gründen zu lassen. Und der Regierung ist es auch mit Geld gelungen, die politische, intellektuelle und wirtschaftliche Elite hinter sich zu versammeln.

Der Dissident

Wang Dan wurde 1969 in Peking geboren. 1987 begann er an der Peking-Universität Geschichte zu studieren und wurde 1989 zu einem wichtigen Anführer der studentischen Demokratiebewegung.

Nach der Niederschlagung der Bewegung stand er auf der Liste der meistgesuchten Anführer auf Platz eins und konnte sich zunächst verstecken. Er stellte sich schließlich und wurde zunächst für zwei Jahre inhaftiert. Später wurde er erneut zu elf Jahren Haft verurteilt, durfte aber 1998 aus gesundheitlichen Gründen ins US-Exil ausreisen.

An der Harvard Universität promovierte er 2008 in chinesischer Geschichte und unterrichtete darauf acht Jahre an Universitäten in Taiwan. Er lebt heute nahe Washington D.C. und kämpf weiter für Demokratie in China – etwa mit dem von ihm mitbegründeten Think Tank Dialogue China. S. H.

Chinas Mittelschicht ist heute viel größer als 1989, scheint aber kaum an Demokratie interessiert. Kann sie treibende Kraft der Demokratisierung sein?

Das ist der größte Irrtum im Westen über China. Nach westlicher Vorstellung besitzen Mittelschicht-Angehörige etwa kleine Läden, sind Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte, die Distanz zur Regierung pflegen. In China ist die Mittelschicht aber eine Klasse der Reichen, die Angehörigen dieser Schicht machen Geld durch ihre guten Beziehungen zur Regierung und die Zusammenarbeit mit ihr. Sie sind politisch nicht neutral und unterstützen auch keine Demokratisierung.

Diese sogenannte Mittelschicht hat sehr vom Wirtschaftswachstum seit 1979 profitiert. Mit welchen Folgen?

In den vergangenen 40 Jahren war die Mittelschicht bzw. Klasse der Reichen sehr an Stabilität interessiert, weil sie Beziehungen zur Regierung hatte und davon profitierte, dass die Wirtschaft wuchs. Aber das Wachstum lässt gerade nach. Die Regierung wird bald mehr von dieser Gruppe verlangen. Viele haben sich daher schon ausländische Pässe besorgt oder sind ins Ausland gezogen. Manche Geschäftsleute haben mit der Regierung auch sehr schlechte Erfahrungen gemacht, etwa auf lokaler Ebene. Sie fühlen sich von den Parteikadern herumgeschubst.

Wie steht es heute um Chinas Zivilgesellschaft?

Sie ist heute viel stärker als in den 1980er Jahren, vor allem im Internet. So gibt es im chinesischen Online-Messenger-Dienst WeChat sehr beliebte Diskussionsgruppen. Da wird offen diskutiert und die Regierung direkt kritisiert. Da gibt es fast schon Meinungsfreiheit.

Sie leben in den USA. Können Sie sich unkontrolliert mit Menschen in China austauschen?

Selbstverständlich, zum Beispiel über WeChat. Ich und meine Freunde in China wissen, dass wir überwacht werden. Wir haben keine Angst. Und so geht es immer mehr Menschen. Das wissen viele in den westlichen Ländern nicht, sie denken, Chinesinnen und Chinesen würden ihre Regierung fürchten.

In den USA betreibt Präsident Donald Trump eine gegen China gerichtete Politik. Was denken Sie als chinesischer Demokrat darüber?

Trumps China-Politik wird nicht funktionieren. Er blufft nur. Er möchte vor allem mehr Geld aus China herausschlagen. Demokratie und Menschenrechte interessieren ihn nicht.

Sven Hansen ist Asien-Redakteur der deutschen Tageszeitung taz in Berlin.

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