Zeit für einen neuen Staat

Von Brigitte Voykowitsch · · 2005/10

Sudanesische Frauen nutzen die Chance des nationalen Friedensabkommens, um sich für ihre Rechte einzusetzen. Mit der Vision einer säkularen, multiethnischen Geschlechterdemokratie knüpfen sie an die 1960er-Frauenbewegung an.

Der politische Islam war und ist ein Problem für die Frauen im Sudan. Wir sind Bürger zweiter Klasse. Es gibt keine Gleichstellung. Es gibt keinen Raum für Frauen unter den derzeitigen Gesetzen. Alles, was wir in den 1960er Jahren bekamen, haben wir verloren. Frauen werden vergewaltigt, belästigt, unterdrückt und haben keine Zukunft in der sudanesischen Gesellschaft. Sie schauen, dass sie weg kommen, um anderswo zu leben und dort von einem neuen Sudan zu träumen. Wie können wir einen neuen Staat aufbauen?“
Das Urteil von Amna Mohamed Salah Dirar ist ernüchternd. Doch von Resignation kann keine Rede sein. Im Gegenteil. Amna Dirar, selbst Generalsekretärin des Bija-Kongresses, der wichtigsten Oppositionspartei im Ostsudan, ist entschlossen, weiter zu kämpfen. „Wie können wir einen neuen Staat aufbauen?“ Das ist keine rhetorische Frage. Das ist die Aufgabe, der sich die Sudanesinnen – jene, die im Land geblieben sind, und jene, die heute im Ausland leben – stellen müssen. „Unabhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit müssen wir sudanesische Frauen uns gemeinsam organisieren“, mahnt Amna Dirar.
Die ersten Schritte sind getan. Frauen aus allen Landesteilen und aus dem Exil sind dabei, gemeinsame Plattformen zu gründen und Strategien zu entwickeln. Ende August kamen mehrere Dutzend Sudanesinnen zu einer Konferenz in Wien zusammen. Organisiert hat sie Ishraga Mustafa Hamid, eine aus dem Sudan gebürtige und heute in Österreich lebende Kommunikationswissenschaftlerin und Obfrau der Bewegung „NilDonau“. „Frauen für Demokratisierung und Frieden im Sudan“, lautete der Titel der Veranstaltung.

Nach 20 Jahren Bürgerkrieg besteht tatsächlich die Chance für einen Neubeginn. Anfang dieses Jahres wurde in der kenianischen Hauptstadt Nairobi mit dem Comprehensive Peace Agreement ein umfassendes Friedensabkommen von der Regierung in Khartum und der Führung der südsudanesischen Befreiungsbewegung (SPLA) beschlossen. Doch das Erbe des Krieges lastet schwer. Seit der Unabhängigkeit im Jahre 1956 hat der Sudan nur elf Jahre Frieden erlebt. Ein früheres Abkommen zwischen dem Norden und dem Süden brach 1983 zusammen. Erst Anfang August dieses Jahres geriet der Friedensprozess wieder in Gefahr, als John Garang, langjähriger Führer der SPLA, Mitunterzeichner des Abkommens und seit Juli Vizepräsident des Sudan, bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam. Der Verdacht eines gewaltsamen Todes, der sich dann allerdings nicht bestätigte, löste sofort erneute Unruhen aus.
Bei den Auseinandersetzungen im Sudan handle es sich – entgegen den üblichen Medienformulierungen – nicht primär um einen religiösen Konflikt zwischen dem muslimisch-arabischen Norden und dem afrikanisch-christlich-animistischen Süden, betonen Amna Dirar und andere Aktivistinnen. Es gehe vielmehr um Macht, Identität und den Zugang zu Ressourcen. Ishraga Mustafa Hamid spricht von einem Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen den Machthabern und den marginalisierten Gruppen im gesamten Land. Erst seit der Einführung der Sharia im Jahr 1983 sei die Religion als zusätzlicher Faktor hinzugekommen. Mustafa Hamid erinnert allerdings sofort daran, dass im Westen des Landes, in Darfur, wo infolge des 2003 aufgeflammten Krieges bereits 1,4 Millionen Menschen vertrieben worden sind, sowie im Osten vor allem Muslime leben, teils sogar sehr konservative Muslime, „und trotzdem sind sie jetzt auf der Flucht“.

Das Friedensabkommen vom Jänner 2005 sieht keine Lösung für Darfur oder den Osten vor. Manche Frauen befürchten zudem, dass im marginalisierten Nordosten, wo neben vielen anderen Ethnien vor allem Nubier leben, ein weiterer blutiger Konflikt droht. Auch das Schicksal des Südens ist noch offen. Das Abkommen regelt den Zugang zu Macht und Ressourcen, insbesondere den Öleinnahmen, zwischen Nord und Süd. In sechs Jahren jedoch soll der Süden über seinen Verbleib beim Sudan entscheiden. Bis dahin gelte es, die nationalstaatliche Einheit attraktiv zu machen.
Die Frauen wollen die Chance nutzen. Die Herausforderung bestehe darin, „zu akzeptieren, dass der Sudan ein multi-ethnisches, multi-religiöses, multi-kulturelles Land ist“, sagt Rose Loado von der Organisation „Südsudanesische Frauen für den Frieden“ und gesteht ein: „Das in der Praxis zu leben, ist nicht so leicht.“ Und doch gab es Zeiten, in denen es funktionierte, erzählt Loado, die selbst Christin ist. „Im Süden hatten wir in derselben Familie afrikanische Traditionen, Christen und Muslime. Wir lebten zusammen und es gab Mischehen. Aber dann änderte sich das. So viele Gruppen missbrauchen heute die Religion. Jene Muslime, die den Islam als Religion praktizieren, achten mich als eine gläubige Frau. Die anderen hingegen, die den Islam politisieren, betrachten mich als Ungläubige.“

Die Sudanesinnen können bei ihrem Engagement für einen neuen Sudan an eine lange Erfahrung anknüpfen. Die landesweite sudanesische Frauenunion hatte in den 1960er und 1970er Jahren viele Rechte für die Frauen erkämpft. Auch wenn Frauen danach schrittweise marginalisiert wurden, gaben sie dennoch nie auf, sondern engagierten sich in zivilgesellschaftlichen Organisationen. Nun fordern sie die Errichtung eines demokratischen und säkularen Staates im Sudan, in dem Frauen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mitwirken können. Die mit dem Friedensabkommen akzeptierte Regelung, wonach im Norden weiterhin die Sharia gilt und lediglich der Süden säkular ist, akzeptieren sie nicht.

www.niledanube.org www.8ung.at/sudanplattformaustria

Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin und lebt in Wien.

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