Eine globale Aufgabe

Von Hermann Klosius · · 2002/06

Das Ausmaß der Katastrophe von Bangladesch und Westbengalen übersteigt die Vorstellungskraft. Eine Lösung des Problems können sich die armen Länder jedoch finanziell nicht leisten.

Dass es sich bei Arsen um ein hochwirksames Gift handelt, ist seit langem bekannt. Wer Wasser trinkt, das pro Liter 60 Milligramm Arsen enthält, stirbt bald danach. Andererseits wurde Arsen über viele Jahre auch als Heilmittel verwendet, etwa um Krankheiten wie die Syphilis zu behandeln. Die Gabe einer mittleren Dosis des Giftes über einen Zeitraum von 30 Tagen kann, so ein kürzlich publizierter wissenschaftlicher Artikel, zur Heilung von Leukämie beitragen. Da Tierversuche den Anschein erweckten, Arsen in niedrigen Dosen habe eine eher positive Wirkung, unterschätzten Toxikologen in aller Welt die dramatischen Folgen einer langfristigen Belastung mit geringen Mengen dieser Substanz sträflich. Dabei sind die typischen Symptome einer solchen chronischen Vergiftung bereits 1966 an Personen beobachtet worden, die aus arsenverseuchten Brunnen getrunken hatten: helle und dunkle Flecken auf der Haut, Verhärtungen auf den Handflächen und Fußsohlen und Hautkrebs.
In Thailand fand Chien-Jen Chen im Jahr 1986 eine ungewöhnlich hohe Rate an Lungen- und Blasenkrebs sowie anderer Krebsarten, ein Befund, der 1993 auch von Allan Smith und seinem Team aus Chile gemeldet wurde. Diese Daten veranlassten die Weltgesundheitsorganisation, die Herabsetzung des Grenzwertes für Arsen in Trinkwasser von 50 auf 10 Mikrogramm pro Liter zu empfehlen. In den USA wurde dieser bereits im Jänner 2001 von Präsident Clinton gebilligte neue Grenzwert Ende Oktober 2001 von der Umweltbehörde EPA bestätigt und soll ab dem Jahr 2004 in Kraft treten; in der Europäischen Union soll dieser Standard ab 2003 gelten. Absoluten Schutz vor einer chronischen Arsenvergiftung bringt auch der niedrigere Grenzwert nicht: Um dieses Risiko auf 1:1 Million zu senken, wäre laut Berechnungen der Umweltbehörde von Kalifornien eine Absenkung auf 1,5 Mikrogramm pro 1000 Liter nötig, was weder technisch möglich noch finanziell leistbar ist.
Der Anteil von Arsen im Gestein der Erdkruste wird auf etwa zwei Gramm pro Tonne geschätzt. Im Fels gebunden ist es harmlos, doch führen verschiedene chemische Prozesse dazu, dass es sich frei in Wasser lösen kann. Im Wasser gelöst ist Arsen unsichtbar, geschmacks- und geruchslos und daher nur schwer zu entdecken. Die im Delta der Flüsse Ganges und Brahmaputra herrschenden komplexen – und auch unter den WissenschaftlerInnen nicht restlos geklärten – geochemischen Verhältnisse haben dazu geführt, dass in Bangladesch und Westbengalen höhere Arsenkonzentrationen im Wasser auftreten als in anderen Weltregionen mit ähnlich hohem Gehalt dieses Elements im Boden (wie in Massachusetts). Umstritten ist dabei, inwiefern menschliche Eingriffe wie die massive Entnahme von Wasser für Bewässerungszwecke oder der Bau von Staudämmen zur Freisetzung des Arsens beigetragen haben. Auch ob Bakterien eine maßgebliche Rolle gespielt haben, ist ungeklärt.
Zu Kontaminierungen mit Arsen ist es bereits in vielen Teilen der Welt gekommen. Ursprünglich handelte es sich dabei vor allem um Freisetzungen in Zusammenhang mit dem Bergbau in Ländern wie Australien, Kanada, Japan, Mexiko, Thailand, Großbritannien und den USA. Inzwischen gibt es auch Probleme mit Arsen im Grundwasser, das oft erst seit kurzem für die Wasserversorgung genutzt wird, wobei die Liste der betroffenen Länder neben Bangladesch sowohl weitere asiatische Länder – China, Kambodscha, Innere Mongolei, Nepal, Philippinen – als auch lateinamerikanische Beispiele – Argentinien, Chile, Mexiko – und selbst Industrieländer wie Neuseeland, Taiwan, Ungarn und die USA umfasst.
Arsen fand auch als Pestizid verbreiteten Einsatz: Allein in den USA sollen zwischen 1950 und 1970 pro Jahr etwa 40.000 Tonnen davon versprüht worden sein, mit dem Ergebnis, dass manche Nahrungsmittel inzwischen arsenbelastet sind. Das Ausmaß der Katastrophe von Bangladesch und Westbengalen ist jedoch mit den Problemen im Rest der Welt nicht zu vergleichen und übersteigt die Vorstellungskraft. Geht man von in Chile gesammelten Erfahrungswerten aus, muss damit gerechnet werden, dass die bisherige Belastung zwischen 200.000 und zwei Millionen Krebskranke zur Folge haben wird, das Zehn- bis Hundertfache der weltweit infolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl zu erwartenden Krebsfälle.
Von einer zumindest moralischen Verantwortung für diese Tragödie können Organisationen wie die UNICEF und die Weltbank nicht freigesprochen werden, weil sie die Brunnen installierten, ohne das Wasser (das nach 22 Parametern getestet wurde) auf einen eventuellen Arsengehalt zu untersuchen. Noch im Jahr 1995 hat die britische Organisation BGS (British Geological Survey) in einem Dokument das Wasser als sicher bezeichnet – und auf den Aspekt Arsen vergessen.

Die Arsenvergiftung ist in Bangladesch nicht nur so intensiv und weit verbreitet wie nirgendwo sonst, sie trifft auch auf eine angesichts der extremen Armut und hohen Bevölkerungsdichte verwundbare und unvorbereitete Bevölkerung, was die nach technischen Gesichtspunkten im Prinzip einfache Lösung massiv erschwert. Die bisher zur Verfügung stehenden Mittel werden der Größe der Herausforderung bei weitem nicht gerecht: Es wäre dringend erforderlich, alle Brunnen, die zum Trinken oder Kochen genutzt werden, auf ihren Arsengehalt zu untersuchen. Eine Berechnung im Mai 2000 hat jedoch ergeben, dass es beim bisherigen Tempo 300 Jahre dauern würde, alle elf Millionen Brunnen des Landes zu überprüfen. Die Umsetzung der bereits 1998 bei der ersten von bisher vier einschlägigen Konferenzen in Dhaka geforderten Maßnahme, allen BewohnerInnen den Zugang zu weder mit Arsen noch mit Bakterien verseuchtem Wasser zu gewährleisten, ist damit noch in weiter Ferne.
Weitere dringliche Aufgaben sind die medizinische Behandlung und finanzielle Unterstützung der Opfer sowie weitere Forschungen zum besseren Verständnis der verantwortlichen hydrogeologischen Prozesse und der gesundheitlichen Auswirkungen. Da die Ergebnisse für die ganze Welt von Bedeutung sein können, sollte die Lösung mehr als bisher als globale Aufgabe gesehen werden. Der internationale Beitrag ist für den Erfolg ebenso unabdingbar wie die Information und Einbindung der lokalen Bevölkerung.

Der Autor ist freier Journalist und Redakteur der Zeitschrift „Lateinamerika Anders Panorama“.

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