Auf der Suche nach dem neuen Horizont

Von Andreas Boueke aus Guatemala-Stadt · · 2019/Mai-Jun

Trotz Trump´scher Warnungen machen sich nach wie vor MigrantInnen-Karawanen aus Mittelamerika auf den Weg gen USA.

Von Andreas Boueke aus Guatemala-Stadt

Eine schmale Straße im alten Zentrum von Guatemala-Stadt, im Jänner dieses Jahres. Rund zweihundert Menschen sitzen auf dem Gehsteig vor dem sogenannten „Haus des Migranten“. Seit 25 Jahren stehen die Türen der katholischen Institution reisenden Menschen offen, die eine Pause und etwas Stärkung benötigen.

Die ersten Angehörigen der Karawane sind schon vor Stunden in die Stadt gekommen. Für die Nacht verteilen sie sich auf verschiedene Lagerstätten. Das klappt heute gut, manchmal braucht es auch OrganisatorInnen, die mit Megafonen Ansagen machen, damit die Situation nicht chaotisch wird. Einige stehen über Smartphones in Kontakt mit FreundInnen oder Angehörigen, die dieselbe Strecke schon hinter sich haben. Sie fragen nach Tipps für Reiserouten und Übernachtungsmöglichkeiten auf dem circa 4.000 Kilometer langen Weg bis Tijuana, der mexikanischen Stadt an der Grenze zu den USA.

Weniger MigrantInnen. Als sich Ende des vergangenen Jahres Gruppen von MigrantInnen in Honduras zu Karawanen zusammenschlossen, weckte das die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. In den USA nahm Präsident Donald Trump die Bilder Hunderter armselig aussehender MittelamerikanerInnen zum Anlass, um vor einer großen Gefahr für sein Land zu warnen und seine Mauerbau-Pläne an der Grenze zu Mexiko zu bewerben.

Tatsache aber ist, dass die Zahl der undokumentierten EinwanderInnen, die in die USA gelangen, in den vergangenen zehn Jahren stetig gesunken ist. Schon lange ziehen Menschen aus Mittelamerika nach Norden. Neu ist daran nur, dass sie sich nun zusammenschließen – bis zu rund tausend Personen –, um gemeinsam durch Mexiko zu wandern. Längst haben sich weitere Karawanen aus den Ländern Honduras, El Salvador und eben Guatemala auf den Weg gemacht.

Diesmal sind besonders viele Mütter mit Kindern zum „Haus des Migranten“ gekommen. Die 30-jährige Miriam* ist vor drei Tagen in San Pedro Sula aufgebrochen, einer Großstadt im Osten von Honduras. „Manchmal gehen wir, manchmal nimmt uns ein Auto oder ein Lastwagen mit“, erzählt sie. „Jetzt warten wir hier vor dem Haus des Migranten auf Einlass für die Nacht.“

Miriams vierjährige Tochter liegt auf dem Gehsteig und starrt in den wolkenlosen Himmel. Die Kleine hat noch nicht verstanden, dass bisher erst eine Etappe der sehr langen Reise hinter ihr liegt. „In Honduras habe ich lange vergeblich Arbeit gesucht, um meine Familie ernähren zu können. Die lange Reise macht mir Angst, aber wir haben keine andere Wahl“, sagt Miriam.

Das Elend hinter sich lassen. Im Inneren des „Haus des Migranten“ bereiten Freiwillige den Moment vor, an dem sie die Türen öffnen werden. Sie säubern Toiletten, entlausen Matratzen und schrubben Fußböden.

Die Psychologin Roxana Palma steht bereit, um sich denjenigen MigrantInnen zuzuwenden, die ein therapeutisches Gespräch brauchen. „Die Leute sind es leid, das Elend in ihren Ländern zu ertragen, das Fehlen an Möglichkeiten, die menschenunwürdigen Lebensbedingungen. Sie tun sich zusammen, weil sie nicht genug Geld haben, um einen Schlepper zu bezahlen. Sie haben verstanden, dass es weniger gefährlich ist, gemeinsam zu reisen.“

Auch in Guatemala schließen sich Leute der Karawane an, trotz der Unsicherheit, ob sie ihr Ziel erreichen werden. Der Menschenrechtsaktivist Israel Macario, Mitarbeiter des Netzwerks „Plataforma Agraria“, betont, dass sie sich sehr bewusst seien, dass sie durch die Wüste gehen müssen, dass sie in die Hände der Drogenkartelle fallen können, dass sie womöglich von den Behörden deportiert werden. Und sie wüssten, dass sie in den USA nicht frei leben könnten und sehr hart arbeiten müssten.

Migration Richtung USA: Von Guatemala-Stadt bis nach Tijuana in Mexiko sind es 4.000 Kilometer, die MigrantInnen legen weite Strecken zu Fuß zurück.

Ziel: Zurück in die USA. Unterdessen haben sich vor der Tür des „Haus des Migranten“ einige junge Frauen zusammengefunden. Schüchtern klopfen sie an. Sie bitten um Windeln für ihre Kleinkinder und ein wenig Milch. Minuten später reicht ihnen eine ältere Freiwillige zwei Pakete Plastikwindeln, einen Topf heißes Wasser und ein Päckchen Milchpulver.

Der junge Mann Alberto* beobachtet die Szene. Ihm wird klar, dass er die Nacht auf der Straße schlafen wird. Familien mit Kindern werden zuerst reingelassen. Danach wird für ihn kein Platz mehr sein.

Alberto kennt das Leben in den USA. Er ist dort aufgewachsen, bevor ihn die Migrationsbehörde im vergangenen Sommer nach Guatemala deportiert hat – das Land, in dem er zur Welt gekommen ist. „Ich gehe zurück, weil ich in Guatemala nicht arbeiten kann“, erklärt er. „Statt Arbeit gibt es hier gefährliche Banden. Selbst die Polizei will dein bisschen Geld haben. Das Leben hier ist Scheiße. Ich will nur arbeiten. 23 Jahre lang war ich in den USA, bevor sie mich deportiert haben. Mein Leben ist dort, nicht hier.“

Alberto hat in Texas gelebt. Er weiß, wie man dort Arbeit findet. Er wird es schaffen, sich ein neues Leben aufzubauen, da ist er sich sicher: „Wenn man dort im Norden arbeiten will, dann bekommst du was. Da gibt es nicht diesen ganzen Kram mit Dokumenten und Nachweisen, so wie hier in Guatemala“, führt Alberto aus. „Hier verdienst du in der Landwirtschaft nur 800 Quetzales für zwei Wochen Arbeit.“ Das entspricht einem Monatslohn von umgerechnet rund 200 Euro. Das reicht nicht für Essen, Strom und Wasser.

Trotz Trump. Neben Alberto sitzt sein Cousin Jaime. Der kennt die USA nur aus Erzählungen und Hollywoodfilmen. Im Radio hat er gehört, dass es sehr schwer sein wird, ins Land zu kommen, solange Trump Präsident ist. „Wie lange wird Donald Trump noch an der Macht sein? Zwei Jahre? Dann muss ich wohl zwei Jahre lang in Mexiko bleiben, bevor ich rüber komme“, sagt er.

Wie viele andere fragt er sich, ob er es über die Grenze schaffen wird. Die guatemaltekische Journalistin Michelle Mendoza berichtet für den US-Sender CNN über die Karawane: „Einige schaffen es. Ich weiß von Familien, die aus Chicago, New York, Los Angeles angerufen haben und sagten: ‚Wir müssen uns verstecken, aber wir sind drin.‘“

Solche Berichte machen dem Salvadorianer Edgar Hurtado Hoffnung. Am Tag vor der Abreise hat er seinen 50. Geburtstag gefeiert. Viele seiner Jugendfreunde waren nicht dabei, weil sie sich schon längst nach Norden aufgemacht haben. Er war in El Salvador geblieben, weil er dort ein ordentliches Auskommen hatte, einen kleinen Laden. Doch seitdem Mitglieder einer Jugendbande fast wöchentlich Schutzgelder von ihm erpressten, reichte sein Verdienst nicht mehr zum Überleben. „Früher sind die Leute allein losgezogen. Jetzt sind die Gruppen größer“, bestätigt Hurtado. „Aber wie immer schon migrieren sie in andere Länder, auf der Suche nach neuen Horizonten.“

* Nachnamen zum Schutz der Person nicht veröffentlicht, Anm.

Andreas Boueke stammt aus Deutschland und lebt seit 15 Jahren als freier Journalist und Buchautor in Guatemala.

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