Stefan Grasgruber-Kerl zum Lieferkettengesetz

Von Richard Solder · · 2022/Sep-Okt
Globale Lieferketten haben sich laut Stefan Grasgruber-Kerl durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg schon stark verändert. © Pat Whelen / Unsplash

Wieso Unternehmen mit einem starken Lieferkettengesetz in die Verantwortung genommen werden müssen, und was sich global gesehen gerade durch Pandemie und Ukraine-Krieg verändert, erklärt Südwind-Kampagnenbereichsleiter Stefan Grasgruber-Kerl im Interview.

Pflichten für Unternehmen bei uns, damit es Konsequenzen gibt, wenn Menschen in den Produktionsländern ausgebeutet werden: Seit einigen Jahren wird in Europa viel über Lieferkettengesetze diskutiert. In manchen Ländern gibt es schon solche Gesetze, etwa in Frankreich (seit 2017) und Deutschland (ab 1. Jänner 2023). In Österreich wartet man darauf, was auf EU-Ebene passiert, nachdem im Februar ein Entwurf von der EU-Kommission präsentiert wurde. Die nächsten Schritte werden in Brüssel allerdings immer wieder verschoben. NGOs kritisieren das heftig. Stefan Grasgruber-Kerl von Südwind ist hierzulande einer der Expert*innen zum Thema Lieferkettengesetz auf Seiten der Zivilgesellschaft.

Wieso ist das Lieferkettengesetz so wichtig?

Weil wir sehen, dass Freiwilligkeit nicht funktioniert! Unternehmen werden zwar teils aktiv, aber ohne verbindliche Regeln tut sich zu wenig. Das zeigen zivilgesellschaftliche Initiativen, UN-Berichte oder eine Evaluation der deutschen Bundesregierung, noch unter der großen Koalition CDU/CSU und SPD. Die ließ prüfen, ob es reicht, Firmen freiwillig aktiv werden zu lassen. Das Ergebnis zeigte: Nein, das geht nicht, Unternehmen halten sich nicht ausreichend an Empfehlungen. Daraufhin blieb der deutschen Bundesregierung quasi nichts anderes übrig, als ein Gesetz auf den Weg zu bringen.

Über welche Produkte reden wir dabei global gesehen?

Das geht über alle Konsumbereiche: Von Kakao bis zu Textilien, von der Autobatterie bis zu Lederschuhen. Egal ob in der Bekleidungs- oder Elektronikindustrie, in der Lebensmittelproduktion oder der globalen Landwirtschaft – wir haben es überall mit Ausbeutung, Kinderarbeit, Menschenrechtsverletzungen und Umweltauswirkungen zu tun.

Was muss ein sinnvolles Lieferkettengesetz beinhalten?

Aus meiner Sicht gibt es zwei zentrale Punkte: Auf der einen Seite, dass Firmen Sorgfaltspflichten haben. Dabei müssen sie genau auf ihre Zulieferbetriebe schauen – und dann überlegen, was sie gegen Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit o. ä. machen können, wenn sie diese dort feststellen.

Stefan Grasgruber-Kerl © Christina Schröder / SWM

Stefan Grasgruber-Kerl ist seit 2012 Kampagnenbereichsleiter bei Südwind und arbeitet seit Jahren in Kampagnen zu Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette.

Und zweitens?

Entschädigungen. Wenn etwas passiert ist, muss die Haftung verbindlich geregelt sein. Und es bedarf einer zivilrechtlichen Haftung, denn da geht es um Entschädigungen für Opfer.

Damit diese zwei zentralen Punkte funktionieren können, brauchen Betroffene Zugang zu Gerichten und finanzielle Unterstützung für Verfahren. Und es muss etwa einer Gewerkschaft in Bangladesch möglich sein, einen Prozess in einem europäischen Land zu führen. Das ist derzeit nicht so einfach.

Kontrollen und Überprüfungen zur Situation der Arbeitnehmer*innen – das fängt schon beim Thema  Gebäudesicherheit an – machen zudem nur Sinn, wenn sie von unabhängigen Institutionen durchgeführt werden, nicht von den Unternehmen selber.

Wann hat der Kampf für solche Regeln und Gesetze begonnen?

Die erste Initiative in Österreich entstand Mitte der 1990er zum Textilbereich aus Lateinamerika-Soli-Gruppen und NGOs wie Südwind und der Frauensolidarität heraus; nicht zuletzt rund um Menschen wie Werner Hörtner (mittlerweile verstorben, Hörtner war auch lange Südwind-Magazin-Redakteur, Anm. d. Red.) oder Hermann Klosius und Leo Gabriel.

In der Zeit wurden Kleider ja vermehrt in lateinamerikanischen Ländern genäht. Daraus entwickelte sich recht rasch, bald europaweit, die Clean-Clothes-Kampagne, die seither globale Lieferketten der multinationalen Unternehmen unter die Lupe nimmt.

Das Thema hat jetzt viel Öffentlichkeit – ein Erfolg?

Ja! Und wir erleben gerade einen Wendepunkt, den wir als zivilgesellschaftliche Organisationen so gar nicht erwartet haben. Endlich reden wir über Gesetze. Davor ging es nur um Empfehlungen und Verhaltenskodizes.

Das änderte sich sicher nicht zuletzt, weil in Frankreich 2017 ein Lieferkettengesetz verabschiedet und damit ein Anfang gemacht wurde. Dazu beigetragen hat die europäische Vernetzung der Zivilgesellschaft.

Aber der aktuelle Entwurf des EU-Gesetzes ist den NGOs zu wenig. Wieso?

Weil er eine absolute Minderheit – nur rund 0,2 Prozent – der Unternehmen betrifft. In Österreich wären es Schätzungen zu Folge sogar noch weniger. Das liegt daran, dass sich der Gesetzesentwurf an der Größe, dem Umsatz und der Mitarbeiter*innenzahl der Firmen orientiert. Das heißt, da fallen vor allem große, internationale Konzerne rein, von denen kaum einer seinen Firmensitz in Österreich hat.

© venti-views / unsplash

Ein solches Lieferkettengesetz wäre ein Etikettenschwindel. Müßig ist dabei die Diskussion um die KMU, die Klein- und Mittelbetriebe. Die Wirtschaftskammer argumentiert, von denen könne man nicht das gleiche verlangen wie von großen Firmen. Aber das ist schwachsinnig. Wenn ich mir Zulieferbetriebe suche, dann muss ich neben den Produktionskosten und der Qualität auch auf die Arbeitsbedingungen bei denen schauen.

Und das machen Firmen nach wie vor zu wenig …

Es gibt schon einige Unternehmen, die es zunehmend ernster nehmen. Weil sie sehen, dass eine gut gemanagte und überprüfte Lieferkette mehr Qualität und weniger Risiko mit sich bringt.

Gerade unsere derzeitigen multiplen Krisen und Fälle wie der des festgesteckten Frachters im Suezkanal vor eineinhalb Jahren zeigen, dass es unsicher ist, wenn man Produktionsschritte, weil es billiger ist, über den ganzen Globus verteilt. Diese Rechnung geht sich nicht mehr aus.

Beispiel Rana Plaza  

Warum es ein Lieferkettengesetz dringend braucht, macht die Bekleidungsproduktion in Bangladesch immer wieder deutlich. Der schlimmste Fall bisher: Der Einsturz des Gebäudes Rana Plaza in Sabhar nahe der Hauptstadt Dhaka am 24. April 2013. Dabei wurden über 1.100 Menschen getötet und mehr als 2.400 verletzt. In der Fabrik ließen namhafte europäische Unternehmen produzieren, u. a. Inditex (der Mutterkonzern von ZARA), Primark und C&A.  

Im Bereich der Gebäudesicherheit hat in der Folge ein Abkommen, der sogenannte Bangladesh Accord, für Verbesserungen gesorgt. Arbeitsrechtlich bleiben aber bis heute große Lücken: Es werden immer noch Hungerlöhne bezahlt, prekäre Dienstverhältnisse aufrechterhalten und viel zu lange Arbeitszeiten verlangt. In Bereichen, in denen Schutzkleidung nötig wäre, wird diese oft unzureichend bereitgestellt, zum Beispiel in der Lederverarbeitung.  

Nach dem Rana-Plaza-Einsturz mussten die Opfer sehr lange auf Kompensationszahlungen warten, die letztlich auch noch unzureichend ausfielen. Und immer wieder kommt es zu ähnlichen Fällen, Fabrikseinstürzen oder Bränden: Beim schlimmsten Fabrikbrand in Asien etwa, der Ali Enterprises Factory im pakistanischen Karatschi am 11. September 2012, verloren mehr als 250 Arbeiter*innen ihr Leben, über 50 Menschen wurden verletzt.  sol

Wie bedeutend ist das Thema Umwelt in Bezug auf das Gesetz?

Das Thema Lieferkette hat immer eine menschenrechtliche und eine ökologische Komponente. Das sieht man an vielen Beispielen, etwa bei der Palmölproduktion. Es ist wichtig, dass man Menschenrechte und Umweltschutz nicht gegeneinander ausspielt. Im Gesetzesentwurf der EU-Kommission ist zwar beides enthalten, aber Klimaauswirkungen kommen dabei noch zu kurz.

Ein NGO-Bericht deckte massives Lobbying mehrerer Wirtschaftsverbände gegen das EU-Lieferkettengesetz auf – was ist die Antwort der NGOs darauf?

Wir als NGO sind natürlich genauso in Brüssel präsent und machen uns in unterschiedlichen Projekten und Kampagnen für ein umfassendes  Lieferkettengesetz stark. Und wir sind nicht allein, es gibt die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ), Friends of the Earth Europe, Gewerkschaften oder die Arbeiterkammer.

Klar ist allerdings, dass wir in der Minderheit sind. Das zeigt das Lobbying der Wirtschaftsverbände: Zuerst haben wir uns noch gewundert, warum der Prozess rund um den Gesetzesentwurf wieder und wieder verschoben wurde – bis klar war, dass das auf ihre Einflussnahme zurückzuführen ist.

Alle in Brüssel betreiben Lobbying. Aber, dass die Seite der Wirtschaft und der Industrie wesentlich bessere Zugänge hat und derartig auf Entwürfe einwirken kann, ist schockierend.

Wir versuchen, gegen diese Schieflage anzukämpfen, u. a. in dem wir die Menschen für die Sache mobilisieren.

Du bist seit Jahren auf der EU-Ebene aktiv, wird es für zivilgesellschaftliche Initiativen dort schwieriger oder einfacher, ihre Anliegen einzubringen?

Ich glaube zu beobachten, dass das Industrielobbying intensiver wird. Umso mehr, wenn sich etwas bewegt, wie beim Lieferkettengesetz.

Wie werden die EU-Lieferketteninitiativen in den Ländern des Globalen Südens gesehen?

Positiv, das sehen wir im Austausch mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Aber viele glauben noch nicht ganz daran, dass es ihnen etwas bringen wird. Bis in Bangladesch eine Wirkung zu spüren ist, dauert es sicher noch sieben oder acht Jahre.

Es gibt zudem eine UN-Initiative zum Thema, die Arbeitsgruppe zum sogenannten Binding Treaty („verbindlicher Vertrag“, Anm. d. Red.), die besonders vom Globen Süden getragen wird und von Ecuador und Südafrika ausgeht.

Haben sich die globalen Lieferketten durch Pandemie, Ukraine-Krieg etc. schon verändert?

Ja, es gibt ein massives „Zurück“, in die Nähe der Zentren. Europäische Konzerne verlegen vor allem nach Nordafrika oder Osteuropa.

Was nicht heißt, dass die Arbeitsbedingungen dort besser sind.

Genau. Da weiß die Clean Clothes Kampagne in Sachen Textilien etwa viel zu berichten. „Made in Europe“ bedeutet nicht automatisch, dass die Arbeitsbedingungen  gute sind.

Auch in EU-Ländern wie Bulgarien oder Rumänien sind sie oft miserabel, und Löhne liegen weit unter dem Existenzlohn. Dass man mit „Made in Europe“ etwas anderes suggerieren will, ist dann schlicht Greenwashing.

Es gibt also auch in Zeiten sich verändernder Lieferketten für NGOs genug zu tun. Wir engagieren uns weiter gegen Ausbeutung, schlechte Arbeitsbedingungen – und Greenwashing.

Interview: Richard Solder

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