Venezuelas Ringen um den Urnengang

Von Tobias Lambert · · 2024/Mar-Apr
© Matias Delacroix / AP / picturedesk.com

Rund um die geplante Präsidentschaftswahl in Venezuela gibt es viele Fragezeichen. Die Regierung versucht mit einer Eskalation eines alten Konflikts mit dem Nachbarland Guyana die Menschen im Land zu mobilisieren.

Bisher gibt es noch nicht einmal einen Wahltermin. Doch inoffiziell hat der Präsidentschaftswahlkampf in Venezuela bereits begonnen. Die Bevöl-kerung werde 2024 „einen neuen großen Sieg“ erringen, erklärte der amtierende Präsident Nicolás Maduro Mitte Jänner. Die rechte Opposition hat sich nach den gescheiterten Umsturzversuchen, die auf die von ihr teilweise boykottierte Wahl von 2018 folgten, mehrheitlich auf María Corina Machado als Kandidatin geeinigt. Die Rechtsaußen-Politikerin startete zu Jahresbeginn bereits ihre Kampagne und kündigte „ein Jahr intensiver Arbeit“ an. Ein Wahlkampfkomitee will landesweit 600.000 Freiwillige anwerben, die für Partizipation werben sowie die Transparenz der Wahl überwachen sollen.

Seit Monaten bereits ringen Regierung, rechte Opposition und die USA um die Bedingungen der Präsidentschaftswahl. Wenngleich die USA kein offizieller Verhandlungspartner sind, spielen sie aufgrund der US-Wirtschaftssanktionen eine wichtige Rolle. Denn die Opposition kann nicht über deren Aufhebung entscheiden. Dies aber stellt eine der Hauptforderungen der Regierung dar.

Mitte Oktober vergangenen Jahres schien ein Durchbruch erzielt: Die Regierung und das rechte Oppositionsbündnis „Plataforma Unitaria Democrática“ unterzeichneten in Barbados ein Abkommen. Ziel: transparente Wahlen mit internationaler Beobachtung. Es gilt als weitreichendste Vereinbarung zwischen Regierung und Opposition seit dem Amtsantritt von Maduro 2013. Demnach soll die gemäß Verfassung für 2024 vorgesehene Präsidentschaftswahl in der zweiten Jahreshälfte stattfinden.

Venezuela

Hauptstadt: Caracas

Fläche: 916.445 km2 (knapp elfmal so groß wie Österreich)

Einwohner:innen: 28,2 Millionen

Human Development Index (HDI): Rang 120 von 191 (Österreich 25)

BIP pro Kopf: 3.422 US-Dollar (2022, Österreich: 52.084,7 US-Dollar)

Regierungssystem: Präsidialsystem mit Einkammerparlament, Staatspräsident und Regierungschef Nicolás Maduro

© Roberto CIisneros / AFP / picturedesk.com

Umstrittene Entscheidung. Doch ist unklar, inwieweit die Vereinbarungen tatsächlich umgesetzt werden und ob die Opposition am Ende mit einem gemeinsamen Kandidaten antreten wird. Denn: Am 22. Oktober 2023 hatte sich in einer selbst organisierte Vorwahl zwar deutlich Machado durchgesetzt. Allerdings ist ihr untersagt, für 15 Jahre öffentliche Ämter zu bekleiden. Die Begründungen dafür wechseln. Ursprünglich soll sie vor Jahren falsche Vermögensangaben über ihre Zeit als Abgeordnete gemacht haben. Mittlerweile wird ihr auch Korruption im Zusammenhang mit venezolanischen Vermögenswerten im Ausland vorgeworfen, die die US-Regierung im Rahmen ihrer Sanktionspolitik an die Opposition überschrieben hatte. Derartige Antrittsverbote kann der Rechnungshof in Fällen von Korruption oder der Veruntreuung öffentlicher Gelder ohne Gerichtsbeschluss verhängen. Da es sich um administrative Entscheidungen handelt, die häufig intransparent erfolgen, sind sie sehr umstritten.

Auf Grundlage des in Barbados geschlossenen Abkommens prüfte und bestätigte das – regierungsnah besetzte – Oberste Gericht sowohl das Antrittsverbot Machados als auch das des zweimaligen Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles. Zudem geht die Generalstaatsanwaltschaft wegen angeblicher Destabilisierungspläne juristisch gegen das Umfeld Machados vor.

Machado spricht sich offen für eine US-Militärintervention in Venezuela aus und will vor allem staatliche Unternehmen privatisieren. Seit Beginn von Maduros Präsidentschaft stand sie für den konfrontativen Flügel der Opposition, der (teils gewalttätige) Straßenproteste der Teilnahme an Wahlen vorzog.

Um doch noch an den Wahlen teilnehmen zu können, will Machado gesellschaftlichen und internationalen Druck aufbauen. Die Opposition jedoch braucht dringend einen Plan B. Sie muss wohl auf weniger bekannte Kandidat:innen setzen und versuchen, bis zur Wahl die bestmöglichen Bedingungen auszuhandeln.

Die venezolanische Regierung spielt auf Zeit und strebt offensichtlich an, die Opposition erneut zu spalten, um trotz schwacher Umfragewerte die Wahl gewinnen zu können.

Hoffnung Wirtschaft. Auch hofft die Regierung darauf, dass sich die wirtschaftliche Situation im Wahljahr verbessert. Unmittelbar nach Unterzeichnung des Abkommens von Barbados lockerte die US-Regierung die zwischen 2017 und 2019 verhängten Sanktionen deutlich. Der Handel mit und Investitionen in Erdöl, Gas und Gold sind vorerst wieder für sechs Monate – bis April – erlaubt. Die Lockerungen können jedoch zurückgenommen werden, sollte sich die Regierung nicht an die vereinbarten Schritte hin zu transparenten Wahlen halten.

Dem venezolanischen Staat dürfte die Rückkehr an die Rohstoffmärkte steigende Einnahmen bescheren, die die Regierung im Wahljahr dringend benötigt. Mit mehreren internationalen Unternehmen konnte sie sich bereits darauf einigen, bestehende Projekte wieder aufzunehmen oder neue zu beginnen. Viele davon werden sich aufgrund notwendiger Investitionen und bestehender Milliardenschulden bei Kooperationspartner:innen allerdings erst mittelfristig rechnen.

Alter Konflikt aufgewärmt. Um die Bevölkerung zu mobilisieren, setzt die venezolanische Regierung zudem in dem alten Territorialkonflikt mit dem östlichen Nachbarland Guyana alles auf die patriotische Karte.

Guyana verwaltet die etwa 160.000 Quadratkilometer große, rohstoffreiche Region Esequibo und beruft sich dabei auf das Urteil eines internationalen Schiedsgerichts von 1899. Venezuela hingegen pocht auf den „Vertrag von Genf“ aus dem Jahr 1966. Darin erkannte Großbritannien kurz vor der Unabhängigkeit Guyanas an, dass der Konflikt durch Verhandlungen gelöst werden solle. Ernsthafte Gespräche dazu fanden allerdings niemals statt und an den Gebietsansprüchen Venezuelas hat sich nichts geändert. Die knapp 130.000 Einwohner:innen der Region, darunter viele Indigene, spielen in dem alten Konflikt bislang kaum eine Rolle. An Brisanz gewann das Thema ab 2015, als ein Konsortium um den US-Konzern ExxonMobil große Erdölvorkommen vor der Küste entdeckte und Guyana Förderlizenzen zu deren Ausbeutung erteilte.

Anfang Dezember 2023 ließ die venezolanische Regierung mittels eines nicht bindenden Referendums die Ansprüche der Venezolaner:innen auf das Gebiet abfragen. Sie wurden bekräftigt. Laut Regierung war es eine Antwort auf die Vergabe von Erdöl-Konzessionen durch Guyana. Aus Sicht von Kritiker:innen ging es vor allem darum, die Anhänger:innen der Regierung im Vorfeld der Präsidentschaftswahl zu mobilisieren.

Dass dieser Konflikt militärisch eskaliert, ist allerdings unwahrscheinlich. Zwischen Venezuela und dem Esequibo gibt es nicht einmal eine direkte Straßenverbindung. Der einzige Landweg verläuft über brasilianisches Staatsgebiet. Die Regierung des großen Nachbarlandes hat freilich kein Interesse an einer Eskalation und tritt als Vermittler zwischen Venezuela und Guyana auf.

Anders als bei anderen Themen sind sich Regierung und Opposition bei den Gebietsansprüchen auf den sogenannten Esequibo-Streifen weitgehend einig. Daher könnte der Konflikt auch aus wahltaktischen Gründen dieses Jahr immer mal wieder hochkochen. Entscheidender sind allerdings die Wahlbedingungen und Kandidaturen. Und hier sind derzeit noch einige Fragen offen.

Tobias Lambert arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika. Er twittert unter @lambert_to

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