„Von den internationalen Geldern kommt hier nichts an“

Von Thomas Schmidinger · · 2020/Jan-Feb

Über die Lage in den verbliebenen Gebieten der Selbstverwaltung Nordostsyriens und die ausbleibende humanitäre Unterstützung aus Europa spricht Außenminister Abdulkarim Omar.

Wie sieht die humanitäre Situation nach dem Einmarsch der Türkei mit ihren verbündeten Milizen in Tell Abyad und Serê Kaniyê aus?

Der Einmarsch der Türkei hat zu einer weiteren Massenflucht geführt. Die gesamte kurdische, christliche und tschetschenische Bevölkerung aus Tell Abyad und Serê Kaniyê ist geflohen, sowie Teile der arabischen Bevölkerung. Insgesamt wurden über 250.000 Menschen vertrieben, die nun in Zeltlagern, bei Verwandten oder in Schulen untergebracht wurden, wodurch nun vielerorts der Schulbetrieb eingestellt werden musste.

Gibt es humanitäre Hilfe?

Leider ist der Kurdische Rote Halbmond diesbezüglich weitgehend allein gelassen worden. Es gibt einige kleinere NGOs, die mit viel Eigeninitiative versuchen, uns zu unterstützen, aber die großen internationalen Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen unterstützen die Vertriebenen nur minimal. Große internationale und staatliche Organisationen kooperieren immer nur mit dem Syrischen Roten Halbmond, der allerdings im Regime-Gebiet arbeitet. Von diesen Geldern kommt hier nichts an.

Nach dem Abkommen von Sotschi aus dem Herbst 2019 sind ja nun in Teilen der kurdischen Selbstverwaltungsgebiete russische und syrische Regierungssoldaten stationiert worden. Droht damit das Ende der Selbstverwaltung?

Das Abkommen mit Russland und der Regierungsarmee ist nur ein militärisches Abkommen. Die Zivilverwaltung ist weiterhin auch in diesen Gebieten völlig in unserer Hand.

Im Moment gibt es einen Aussöhnungsprozess mit den im Kurdischen Nationalrat (ENKS) organisierten Pro-Barzani-Parteien, die anfangs die von der PYD (vgl. Kasten S. 12) aufgebauten Strukturen nicht anerkannten. Wie wollen Sie diese rivalisierenden kurdischen Parteien in das politische System der Selbstverwaltung integrieren?

Als Resultat einer Initiative von General Mazlum Abdi (dem Oberkommandierenden der Syrischen Demokratischen Kräfte, Anm.d.Red.) hat die Selbstverwaltung ein Statement abgegeben, dass es den Parteien des ENKS nun erlauben wird, ihre Büros hier zu eröffnen und ihre politische, mediale und soziale Arbeit legal aufzunehmen.

Ziel ist es, ein Treffen mit allen kurdischen politischen Parteien in Rojava abzuhalten und eine gemeinsame kurdische Position für zukünftige Verhandlungen zur Lösung der syrischen Krise zu finden. Eine Inklusion des ENKS in die Verwaltung ist noch nicht diskutiert worden. Bislang ging es darum, eine gemeinsame kurdische Position für Verhandlungen mit dem Regime und den anderen Akteuren zu schaffen.

Was erwarten Sie sich von Europa?

Humanitäre Unterstützung, Druck auf die Türkei, sich zurückzuziehen und stattdessen internationale Truppen zu stationieren. Zudem eine Inklusion in die Gespräche über eine Friedenslösung für Syrien, etwa in das Verfassungskomitee in Genf. (Das Komitee berät, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, über eine neue Verfassung für Syrien, derzeit sind VertreterInnen der kurdischen Selbstverwaltung ausgeschlossen, Anm.d.Red.)

Interview: Thomas Schmidinger

Abdulkarim Omar ist Leiter der Kommission für auswärtige Beziehungen der Selbstverwaltung Nordostsyrien.

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