Wie Drogen Syriens Regime mitfinanzieren

Von Markus Schauta · · 2023/Nov-Dez
Abgefangen: Gefälschte Orangen, die mit Captagon-Pillen gefüllt und in Kisten mit echtem Obst versteckt wurden. © Anwar Amro / AFP / picturedesk.com

Um die marode Wirtschaft anzukurbeln, überschwemmt das Regime von Baschar al-Assad den Nahen Osten mit der Droge Captagon.

Als Orangenattrappen, in Hummusdosen, in Teebeuteln oder in Waschmaschinen: An den Grenzübergängen des Nahen Ostens beschlagnahmen Zollbeamte und Drogenfahnder jährlich
zig Tonnen kleiner runder Pillen. Sie kommen versteckt auf Trucks oder in Schiffen.

Mitte September ließen die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate im Hafen von Dubai fünf Schiffscontainer öffnen. Zwischen Türen und Möbelplatten fanden sie knapp 14 Tonnen Captagon-Tabletten mit einem Marktwert von über einer Milliarde US-Dollar – eine der weltweit größten beschlagnahmten Drogenlieferungen seit Jahren.

Captagon ist ein synthetisches Psychopharmakon. Zentrum der Produktion ist das vom Krieg verwüstete Syrien, wo es industriell hergestellt wird. Über den Irak und Jordanien gelangt das Suchtmittel auf die Golfhalbinsel.

Für das von Sanktionen gebeutelte Regime bringt das Drogengeschäft wichtige Devisen. Soldaten verwenden die Pille, um im Kampf zu funktionieren, und für die gelangweilte Jugend der Golfmonarchien ist Captagon eine beliebte Freizeitdroge.

Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) mit Sitz in Wien gibt an, dass Captagon zwischen 2016 und 2021 die am häufigsten gehandelte Droge im Nahen und Mittleren Osten war.

Und der Markt wächst: Wurden zwischen 2017 und 2020 jährlich im Durchschnitt 14 Tonnen Captagon beschlagnahmt, waren es 2021 bereits 86 Tonnen. Drogenbekämpfungsbeamte der betroffenen Staaten gehen davon aus, dass für jede beschlagnahmte Sendung neun weitere durchkommen.

Illegal und billig. Captagon ist der Markenname des Amphetamin-Derivats Fenetyllin – ein Wirkstoff, der erstmals in den 1960er Jahren in Deutschland zur Behandlung von ADHS verschrieben wurde, gelegentlich auch gegen Narkolepsie oder Depression. In den 1980ern wurde Fenetyllin wegen seiner starken Nebenwirkungen vom Markt genommen und die Herstellung verboten. Die Tabletten, die heute unter dem Namen Captagon verkauft werden, enthalten in der Regel kein Fenetyllin, sondern verschiedene Konzentrationen von illegal hergestelltem Amphetamin in Kombination mit Koffein und anderen Zusatzstoffen.

Kostet eine Pille im reichen Saudi-Arabien bis zu 25 US-Dollar, ist sie laut UNODC in Syrien, Libanon und im Irak um 3 bis 7 US-Dollar zu haben. Pillen von niedriger Qualität werden sogar um 50 Cent gehandelt.

Der Konsum von Captagon ist kein Randphänomen, sondern betrifft alle gesellschaftlichen Gruppen. Saudi-Arabiens Jugend nimmt Captagon als Partydroge, Student:innen schlucken die Pille, um sich länger konzentrieren zu können, Personen mit körperlich anstrengenden Berufen halten sich damit wach, Soldaten und Milizionäre schätzen ihre aufputschende Wirkung, die Hungergefühl und Angst unterdrückt.

Captagon sei die Droge, die „den Syrienkrieg anheizt und Kämpfer in übermenschliche Soldaten verwandelt“, berichtete die Washington Post bereits 2015. Von der „Droge des Dschihad“ entwickelte sich das Aufputschmittel vor allem auf der Golfhalbinsel zu einer beliebten Alltagsdroge.

Politisches Pulverfass  

Mithilfe seiner Verbündeten Russland und Iran gelang es dem Assad-Regime, 70 Prozent des Staatsgebietes zurückzuerobern. Im Mai wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen – ein wichtiger Erfolg für das jahrelang isolierte Regime.

Doch Syrien bleibt weiterhin ein Pulverfass, die Wirtschaft ist ruiniert, ein Großteil der Bevölkerung versinkt in Armut. Im August brachen im Süden des Landes erneut Proteste wegen explodierender Spritpreise aus.

Den Norden und Nordosten kontrolliert die zersplitterte syrische Opposition bzw. die kurdisch geführten und von den USA unterstützten SDF (Demokratischen Kräfte Syriens). Auch diese Gebiete sind nicht stabil, wie immer wieder aufflackernde Kämpfe zwischen den Milizen zeigen.   M. S.

Boomendes Geschäft. Berichten zufolge werden die Pillen seit Mitte der 2000er Jahre in Syrien hergestellt; vermutlich schon früher, sagt Michael Bauer. Er leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung im Libanon und war zuvor für eine humanitäre Hilfsorganisation in Syrien tätig. Mit Beginn des syrischen Bürgerkrieges und dem Einbruch legaler Wirtschaftsaktivitäten gewann die Droge an Bedeutung. „Captagon wurde zu einer der wichtigsten Einnahmequellen für das Assad-Regime und regimetreue Kreise und somit Teil der Kriegswirtschaft“, so Syrienexperte Bauer.

Heute wird die Droge an mindestens 15 Orten im industriellen Maßstab hergestellt – hauptsächlich in Syriens Küstengebieten. Die britische Regierung gehe davon aus, dass 80 Prozent des weltweit gehandelten Captagons aus Syrien stamme, sagt Bauer.

In das Geschäft mit den verbotenen Pillen soll laut Expert:innen der engste Zirkel des Machtkartells von Damaskus verwickelt sein, allen voran Maher al-Assad, Kommandant der vierten Division der syrischen Armee und Bruder des Präsidenten.

Doch auch lokale Milizen im Nordwesten Syriens seien am Drogenhandel beteiligt, indem sie den Schmuggel über die Grenzen in die Türkei ermöglichen und dafür Geld bekommen. Bauer: „Es gibt zudem Berichte über Produktionsstätten dort, die aber schwer zu verifizieren sind.“ Gleichzeitig seien Milizen – vielleicht auf Druck der Türkei – gegen Drogenschmuggler vorgegangen.

Im benachbarten Libanon wird die Droge vor allem in der Bekaa-Ebene hergestellt, wo es entlang der durchlässigen Grenze zu Syrien zahlreiche kleine, mobile Labore gibt.

Effiziente Herstellung. Die Produktion von Captagon ist einfach und billig. Sind die chemischen Grundstoffe beschafft, kann mit relativ geringem Aufwand ein Labor betrieben werden. Vollautomatische Maschinen, die stündlich zehntausende Pillen ausspucken, sind ab 2.500 US-Dollar zu haben.

Kontrolliert wird das Geschäft im Libanon von der Schiitenorganisation Hisbollah. Diese sei bereits vor dem Kriegsausbruch in Syrien im regionalen wie globalen Drogenhandel aktiv gewesen, sagt Bauer von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das syrische Regime profitiere von der Erfahrung und dem weitgespannten Netzwerk der Miliz und arbeite beim Handel mit Captagon eng mit ihr zusammen: „Die Hisbollah ist in Produktion, Schmuggel, Vertrieb, Verschiffung und den Schutz der Droge involviert“, so Bauer.

Route via Europa. Dass Syrien seit Mai dieses Jahres wieder Mitglied der Arabischen Liga ist – die Mitgliedschaft wurde wegen des Bürgerkrieges 2011 ausgesetzt –, hat auch mit der Captagon-Produktion zu tun. Das bestätigen saudische Diplomaten. Denn für die Nachbarstaaten und Zielstaaten am Golf stelle die Drogenschwemme seit Jahren ein Risiko für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit dar. Jetzt wolle man mit dem syrischen Regime ins Gespräch kommen und gegenseitige Zugeständnisse aushandeln.

Bisher ohne Fortschritt. Im Gegenteil, der Kampf gegen die Droge wird komplizierter: Da die Zollbehörden am Golf Exporte aus dem Libanon und Syrien genau prüfen, versuchen die Schmuggler, die Herkunft der Waren zu verschleiern. Die Transportrouten verlaufen daher seit zwei bis drei Jahren verstärkt über europäische Häfen in Italien und Griechenland.

Diese Entwicklung zeigt ein weiteres Mal, dass der Syrienkrieg kein regionales, sondern ein internationales Problem ist.

Markus Schauta lebt als freier Journalist in Wien und berichtet für deutschsprachige Medien aus dem Nahen Osten.

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