Zufällig in Wien

Von Christa Schwab · · 2005/07

Rund 15.000 arabische Frauen und Männer leben in Wien. Ihre Motive für die Wahl dieser Stadt sind vielfältig, oft hat der Zufall mit entschieden. Eine Studie gibt Auskunft über Berufs- und Lebenswelten von Wiens arabischen BürgerInnen.

Der Wiener Landtags– und Gemeinderatsabgeordnete, Bauingenieur Omar Al Rawi, sieht sich als Beispiel gelungener Integration. „Integration ist möglich, das will ich anderen vermitteln und in diesem Sinne ermutigend wirken.“ Der gebürtige Iraker kam 1978 nach Wien, um Bautechnik zu studieren. Seine Wahl fiel auf Österreich, da er als Iraker hier keine Studiengebühren zahlen musste und bereits Deutsch konnte. Seine Mutter ist Wienerin. „Als die FPÖ 1999 einen Überfremdungswahlkampf führte, habe ich mich – wie viele andere – gegen die Beteiligung der Freiheitlichen an der Regierung engagiert“, schildert er seinen Impuls zum Einstieg in die Politik. Von Seiten der SPÖ erhielt Al Rawi schließlich das Angebot, auf Gemeinde- und Bezirksebene auf ihrer Liste zu kandidieren. Er wollte MigrantInnen mobilisieren, zu den Wahlen zu gehen. Wahlberechtigt ist allerdings nur, wer die österreichische Staatsbürgerschaft hat. Al Rawis Vorzugsstimmenwahlkampf bei der Wiener Gemeinderatswahl im Frühjahr 2001 brachte ihm 2.558 Stimmen ein. Er führt diesen Erfolg darauf zurück, den MigrantInnen vermittelt zu haben, dass sie im Fall seiner Wahl jemanden im Gemeinderat sitzen hätten, der ihre Anliegen vertrete. „Ich habe persönlich in Österreich nie Diskriminierung erfahren“, sagt Al Rawi. Er glaubt allerdings, dass dies auf sein europäisches Aussehen und seine Sprachkenntnisse zurückzuführen ist.
Omar Al Rawi ist einer von rund 15.000 AraberInnen, die derzeit in Wien leben. Nach offiziellen Daten der Volkszählung 2001 sind es 6.121 BürgerInnen aus arabischen Staaten, die effektive Zahl wird aufgrund von Einbürgerungen auf mehr als das Doppelte geschätzt. Rund die Hälfte stammt aus Ägypten, je ein weiteres Zehntel aus dem Irak, aus Tunesien sowie aus zwölf weiteren arabischen Ländern. Ein gutes Drittel sind Frauen.

„Die ersten größeren Gruppen von Ägyptern, Irakern und Syrern kamen in den 1960er und 1970er Jahren nach Wien“, erzählt Tarafa Baghajati, Bauingenieur und Aktivist der Antirassismusbewegung. Der gebürtige Syrer kam Mitte der 1980er Jahre nach Wien. Heute engagiert er sich neben seinem Beruf in der Baubranche bei SOS-Mitmensch und seit über zwei Jahren im „European Network against Racism“ (ENAR). Wie Al Rawi ist auch er Gründungsmitglied der „Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen“. Ihre Ziele: Nichtmoslems den Islam verständlicher machen, den interreligiösen Dialog forcieren, die muslimische Gesellschaft in Österreich koordinieren und eine europäische islamische Identität herausarbeiten.
Die erste Immigrationswelle bestand vor allem aus gebildeten und urbanisierten AraberInnen, vorwiegend aus Ärzten, Apothekern, Ingenieuren, die sehr häufig aus fehlenden beruflichen Perspektiven ihr Glück im Westen versuchten, sagt Baghajati. Viele kamen auch nach Wien, um zu studieren oder ihr Studium abzuschließen. Ein größerer Einwanderungsschwung setzte Anfang der 1980er Jahren ein, der vor allem Ägypter als Zeitungskolporteure nach Wien führte. In den späteren 1980er Jahren stießen Menschen aus dem Maghreb, vorwiegend Tunesier, dazu. In den 1990er Jahren waren es vor allem StudentInnen und Frauen, die im Zuge der Familienzusammenführung nach Wien kamen, sowie Flüchtlinge, vorwiegend aus dem Irak.
Wien als Stadt medizinischer Errungenschaften, als Herkunftsstadt von Altbundeskanzler Bruno Kreisky oder Hauptstadt eines ehemaligen Vielvölkerreiches – konkrete Vorstellungen wie diese hatten nur wenige der 21 im Rahmen eines Forschungsprojektes befragten arabischen MigrantInnen, bevor sie hierher kamen. Viele betonen, sie seien „zufällig“ hier gelandet. Die meisten lernten Wien erstmals anlässlich des Besuches von Bekannten kennen. Viele der männlichen Befragten kamen zum Studieren. Wien schien vielen attraktiv, ein weiterer Vorteil war bis vor wenigen Jahren die Studiengebührenbefreiung für Angehörige von „Dritte Welt“-Staaten.

Frauen gaben mehrheitlich an, ihrem Mann nach Österreich gefolgt zu sein. Einige kamen aber auch zum Studium oder aus beruflichen Gründen nach Wien, andere lernten bei einem Wien-Aufenthalt einen Partner kennen und blieben. So die Tunesierin Mabrouka, die 1991 ihren Mann während ihres Doktoratstudiums in Wien kennen lernte. Die Lektorin für Arabisch an der Universität Wien fühlt sich in ihrer Arbeitswelt akzeptiert. Auf der Straße jedoch sieht sie sich aufgrund des Kopftuches immer wieder mit abfälligen Bemerkungen konfrontiert. Sie selbst habe jedoch gelernt sich zu wehren, indem sie Belästigungen schlagfertig kommentiert. Auch Reda, die 1987 ihrem ägyptischen Ehemann nach Wien folgte, ist es schon passiert, dass Menschen aufgrund ihres Kopftuches und ihrer fünf Kinder auf der Straße negativ reagierten, doch erlebt sie auch positive und neugierige Reaktionen. „Einmal wurde ich von einem alten, betrunkenen Mann in der Straßenbahn verbal attackiert, doch hat mich ein anderer Österreicher verteidigt“, berichtet sie.
Reda war wie viele Araberinnen in Wien nie erwerbstätig, Tarek Eltayeb hingegen ist erfahren am Arbeitsmarkt. Begonnen hat der heute prominente Schriftsteller sudanesisch-ägyptischer Herkunft 1984 als Kolporteur bei einer österreichischen Tageszeitung. „Wir wurden wie Sklaven behandelt. Für ein tägliches Fixum von 45 ÖS mussten von 50 Zeitungen mindestens 45 verkauft werden. Bei Nichterfüllung mussten wir die restlichen Zeitungen selbst bezahlen.“ Eineinhalb Jahre sei er dieser „schrecklichen“ Tätigkeit nachgegangen. Doch er hat daneben den Abschluss seines Wirtschaftsstudiums geschafft und ist seit sechs Jahren Arabisch-Lektor an der Fachhochschule Krems im Bereich exportorientiertes Management. „Ich bin sehr glücklich dort“, sagt Eltayeb. Daneben findet er Zeit, sich der Literatur zu widmen. Seine Kurzgeschichten und Romane werden mittlerweile europaweit sowie in der arabischen Welt publiziert. Das Verhalten der WienerInnen gegenüber MigrantInnen sieht er mit gemischten Gefühlen. Er selbst fühlt sich in seinem Wohnbezirk Neubau, wo er die NachbarInnen kennt, wohl und akzeptiert. „Doch wenn ich heute zum Beispiel in den zehnten Bezirk fahre, sehe ich viele ausländerfeindliche Graffitis oder höre auch mal das Wort Neger.“

Eltayeb konnte dem Kolporteur-Dasein entfliehen – Haj hingegen sowie die meisten anderen nicht. Er begann Mitte der 1970er Jahre mit dieser Tätigkeit, „es war die einzig mögliche Arbeit“. Sein in Ägypten abgeschlossenes Chemiestudium ist in Österreich nicht anerkannt, da Haj neben der Arbeit keine Zeit fand, sich um die dafür notwendige Nostrifikation zu kümmern. Die Arbeit als Kolporteur sei hart, man müsse unter Druck arbeiten und sei allen Witterungen ausgeliefert. Heute hat er gesundheitliche Probleme, Asthma. Die gesetzliche Lage ist schwierig. Die über Tausend in Wien arbeitenden Kolporteure gelten als Selbstständige. Haj ist wie viele andere zwar kranken- jedoch nicht arbeitslosen- oder pensionsversichert. Stolz ist er allerdings auf seine Kinder – zwei von vier studieren.
Auch der gebürtige Ägypter Mahmud, der seit 1992 in Wien lebt, hatte bisher weniger Glück. Obwohl auch er sein Maschinenbaustudium in Wien abgeschlossen hat, ist er derzeit arbeitslos. Er stellt fest, dass aufgrund seiner Herkunft seine Chancen bei der Arbeitssuche schlechter stehen – trotz seiner österreichischen Staatsbürgerschaft. Einmal wurde ihm ein Job bereits informell zugesagt, der Geschäftsführer wollte die Sache nur noch mit seinem Geschäftspartner abklären. Dieser habe jedoch gemeint, er stelle sich einen Mitarbeiter mit einer „anderen Mentalität“ vor. Insbesondere seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA habe sich das Klima im Arbeitsbereich zuungunsten von Moslems im Allgemeinen und Arabern im Speziellen gewandelt, meint Mahmud. „Ich spüre das auch bei Bewerbungsgesprächen.“
Trotz diverser Schwierigkeiten wollen 20 von 21 InterviewpartnerInnen in Österreich bleiben. Eine Rückkehr ins Herkunftsland ist derzeit aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen keine Option. Viele fühlen sich hier zu Hause, und die Zukunftschancen für ihre Kinder, die in Wien groß wurden, sind ein wichtiger Faktor. Einige haben Heimweh und können sich zumindest vorstellen, in der Pension zurückzugehen. Konkretere Pläne für eine Rückkehr äußerte nur der Textil-Unternehmer Walid, der aufgrund der sich verschlechternden Wirtschaftslage wenig Zukunft in Österreich sieht.

Christa Schwab ist Politologin und erstellte mit Unterstützung der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien 2004 eine Studie zum Thema „Araber in Wien“.

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