Atlas der abgelegenen Insel

Von Michaela Krimmer · · 2010/09

Judith Schalansky

Düsseldorf, Mare 2010, 144 Seiten, € 35,-

Ein Buch wie dieses ist eine Seltenheit. Mit Liebe zum Detail und poetischer Sprache führt es uns an Orte, von denen wir noch nie gehört haben. An Orte, die in den Atlanten nur mit der Lupe zu finden sind. Das Buch schenkt dem Leser und der Leserin einen wilden Ritt durch die Welt, der uns zeigt, dass selbst in den abgelegensten Winkeln der Welt – oder gerade dort – die unglaublichsten Geschichten passieren.

In der DDR aufgewachsen, sind die einzigen Reisen, die die Autorin Judith Schalansky unternimmt, die mit dem Finger auf der Landkarte. Stundenlang verliert sie sich in den Linien, Punkten und Farben. Ihre größten Reisen sind die im Kopf. Heute, als Autorin und Gestalterin, ist sie ihrer Liebe treu geblieben und entführt uns auf 50 Inseln, auf denen sie nie war und niemals sein wird. Zwei Seiten sind jeder Insel gewidmet. Eine für eine maßstabgetreue, detaillierte Karte der Insel. Eine, um die Insel vorzustellen. Und mit jeder Geschichte beweist die Wirklichkeit wieder einmal, dass die wahren Geschichten oft unwirklicher scheinen als die erfundenen.

Wie zum Beispiel die der Insel Pitcairn, 2.070 Kilometer von den Osterinseln, 2.120 Kilometer von Tahiti entfernt. Dort landeten die Meuterer der Bounty. 2004 wurde die Hälfte der auf der Insel ansässigen erwachsenen Männer schuldig gesprochen, über Jahrzehnte regelmäßig Frauen und Kinder vergewaltigt zu haben. Sie beriefen sich dabei auf ein jahrhundertealtes Gewohnheitsrecht: Schon ihre Vorfahren hatten sich an jungen Tahitianerinnen vergangen.

Auf der Kokosinsel vor Costa Ricas Küste sucht der Deutsche August Gissler jahrzehntelang nach einem Piratenschatz. Andere Familien ziehen auch auf die Insel, er ernennt sich selbst zum Gouverneur. Er findet nie etwas. Als er 1935 in New York stirbt, sagt er noch: „Ich bin mir sicher, es liegen große Schätze auf der Insel.“

Die grafisch wunderschöne Aufbereitung des Buches macht es zu einem kleinen Kunstwerk. Nicht umsonst wurde es letztes Jahr zum schönsten Buch Deutschlands gekürt. Ein Geheimtipp für alle, die auch schon ganze Nachmittage damit verbracht haben, sich im Atlas die unscheinbarsten Orte vorzustellen. Dieses Buch beweist: Die größten Reisen finden immer noch im Kopf statt.

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